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ADHS bei Erwachsenen

Selten erkannt und meist unterschätzt

“Was stimmt nicht mit mir?” Diese Frage habe ich mir immer wieder gestellt. Meine Kindheit war nicht leicht. Ich bin bei meiner allein erziehenden Mutter groß geworden, die selbst an schweren, wiederkehrenden Depressionen erkrankt war. Meinen Vater habe ich bis zu meinem 7. Lebensjahr nicht gekannt und selbst danach gestaltete sich der Kontakt zu ihm mehr als schwierig. Auch sonst gab es in meiner Familie einige Personen mit psychischen Erkrankungen. Mein familiäres Umfeld war daher teilweise sehr instabil und auch wenn alle ihr Bestes gaben, fehlte es mir oft an Halt und Sicherheit. Ich war daher ein sehr ängstliches Kind und kam schon früh in psychotherapeutische Behandlung.

In der Grundschule fiel ich durch sehr lebendiges und öfter auch störendes Verhalten, sowie unkonzentriertes und nicht sehr sorgfältiges Arbeiten auf, zeigte aber auch oft große Begeisterung und Kreativität für Themen, die mich interessierten. Meine Grundschullehrerin war damals die einzige, die den Verdacht äußerte, ich könnte an einer ADHS leiden, doch aus irgendeinem Grund ist dem nicht weiter nachgegangen worden. Kritisch wurde es nach dem Wechsel zur weiterführenden Schule. Die Noten verschlechterten sich erheblich, der Leistungsdruck stieg und ich entwickelte eine akute Angst- und Panikstörung, die erstmals stationär behandelt werden musste. Es folgten ein Schulwechsel und ein Umzug. Danach lief es einige Jahre besser.

Mit 17 begann ich erstmals depressive Symptome zu zeigen. Von da an wurde es immer problematischer. Es folgte ein Schulabbruch und berufliche Perspektivlosigkeit. Die nächsten 10 Jahre wurden zu einem langen Leidensweg mit ständigem Wechsel aus Hoffen, Scheitern, Hilflosigkeit und Verzweiflung. In dieser Zeit kam es zu insgesamt 7 weiteren stationären Aufenthalten aufgrund von depressiver Symptomatik. Ich bekam ständig anderen Diagnosen und Erklärungsansätze für meine Probleme und es wurden 8 unterschiedliche Antidepressiva ausprobiert, die kaum Wirkung zeigten, dafür aber eine Vielzahl an Nebenwirkungen. Ich ging von Arzt zu Arzt und alle waren sich sicher, es handele sich um eine depressive Störung, eine Traumafolgestörung oder eine ängstlich-vermeidende Persönlichkeitsstörung, nur wirklich helfen konnte mir keiner. Zwar waren die mir gegebenen Diagnosen teilweise plausibel, schienen aber alle nicht hundert Prozent zuzutreffen.

Irgendwie hatte ich immer das Gefühl, dass damit nicht alles erklärt wird. Es passten zwar immer einige der Symptome zu dem, was ich täglich erlebte, anderes konnte durch diese aber nicht erklärt werden. Nur durch Zufall bin ich, durch meine damalige Freundin, auf die Information gestoßen, dass es ADHS auch bei Erwachsenen noch gibt und es tatsächlich eine große Übereinstimmung mit den geschilderten Symptomen und meinem Leben und Erleben gab. Ich ließ mich also im Krankenhaus diagnostizieren und das Ergebnis war eindeutig positiv. Hinter meiner jahrelangen, ja eigentlich lebenslangen Problematik, dem jahrzehntelangen Leidensweg, dem Auf und Ab aus Hoffnung und Verzweiflung, verbarg sich die ganze Zeit eine unerkannte ADHS. Damit ergaben sich plötzlich ganz neue Behandlungsmöglichkeiten und Chancen, endlich in ein halbwegs normales und funktionierendes Leben zu starten. – anonymes Fallbeispiel

 

Was ist ADHS? Für einen Kurzüberblick hier klicken
Die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (kurz ADHS) ist eine psychiatrische Erkrankung, die im “Diagnostischen und statistischen Leitfaden psychischer Störungen” (DSM-5) seit neustem als neuronale Entwicklungsstörung klassifiziert und im Intenational Klassifikationssystem (ICD-10) als Hyperkinetische Störung geführt wird. Diese Störung wird zum Teil genetisch vererbt und zum Teil durch belastende Lebensumstände in wichtigen Phasen der Gehirnentwicklung, in den ersten 6-8 Lebensjahren geformt. Die vielfältigen Symptome die eine ADHS hervorbringen kann betreffen unter Anderem  Schwierigkeiten bezüglich Aufmerksamkeits– und Konzentrationsfähigkeit, Motivation– und Antrieb, Wahrnehmung, Impulskontrolle, sowie die Selbstregulation von Stress und Emotionen und sind für Betroffene mit einem hohen Leidensdruck verbunden. ADHS stellt mit ca. 2-6% Betroffenen, die häufigste psychiatrische Erkrankung bei Kindern und Jugendlichen dar. 60-80% von diesen zeigen auch im Erwachsenenalter noch deutliche Symptome. Obwohl ADHS so häufig auftritt und in den letzten Jahrzenten viele Fortschritte in der Erforschung von Entstehung und Behandlung dieser Störung gemacht wurden, gehört sie immer noch zu einer der, in manchen Fachkreisen, am kontroversesten diskutierten und in der Bevölkerung mit vielen falschen Vorstellungen und Vorurteilen behafteten seelischen Störungen.

Kein Einzelfall – Was macht die Diagnose so schwierig?

Wie in diesem Fallbeispiel leiden in Deutschland Schätzungen zufolge bis zu zwei Millionen Erwachsene an den Symptomen einer sogenannten persistierten ADHS, ohne dass dies bekannt ist. Dabei wären erfolgreiche Behandlungsmethoden durchaus verfügbar und würden den Betroffenen eine Menge Leidensdruck nehmen. Dennoch kommt es nur in Ausnahmefällen dazu, dass eine in der Kindheit übersehene bzw. nicht diagnostizierte AD(H)S später im Erwachsenenalter erkannt und adäquat behandelt wird. Dies hat mehrere Gründe.


Viele Kollegen würden ADHS bei Erwachsenen nicht erkennen
– Dr. med. Sarah Kittel-Schneider, Universitätsklinikum Frankfurt


  • Die Erkenntnis, dass auch Erwachsene noch unter einer ADHS leiden können ist noch recht jung. Früher nahm man fälschlicherweise an, dass eine ADHS nur bei Kindern bestünde und sich beim erwachsen werden verflüchtigt. Mittlerweile ist jedoch bekannt, dass sich die ADHS beim Übergang ins Erwachsenenalter, durch in dieser Lebensphase stattfindende Umstrukturierungen im Gehirn, zwar verändert, nicht aber verschwindet. So kann es bei Erwachsenen mit ADHS zu einer Vielzahl an Symptomen kommen, die sich zwar zu jenen im Kindesalter unterscheiden, im Kern aber ebenfalls die ADHS als Ursache haben.
  • Hinzu kommt, dass die zahlreichen Symptome die eine ADHS hervorbringen kann, sich nicht immer leicht von Symptomen anderer psychischer Erkrankungen unterscheiden lassen. Immer noch ist vielen Ärzten und Therapeuten bei der Diagnosestellung einfach nicht präsent genug, dass Symptome wie Stimmungsschwankungen, Antriebslosigkeit oder Impulsivität bei Erwachsenen auch Ausdruck einer persistierten ADHS sein können und so kommt es mitunter zu Fehldiagnosen anderer psychischer Erkrankungen, deren spezifische Behandlung dann meist nicht richtig anschlägt.
  • Der dritte Aspekt der das Erkennen und die Diagnose von ADHS bei Erwachsenen häufig behindert ist, dass die Störung mit einer sehr hohen Komorbiditätsrate einhergeht. Komorbidität bedeutet, dass aus der unbehandelten ADHS heraus, häufig im Laufe der Zeit noch weitere psychische Erkrankungen entstehen können und diese wiederum mit ihren Symptomen die ADHS teilweise oder sogar komplett verdecken können. Das ist vor allem deshalb problematisch, weil die reine Behandlung nur der komorbiden Begleiterkrankungen, ohne dabei die ADHS als Grunderkrankung miteinzubeziehen, meist nicht zum gewünschten Erfolg führt und ein Rückfall in die Komorbidität wahrscheinlich ist. Zu den häufigsten komorbiden Erkrankungen bei ADHS zählen vor allem Depressionen, Angststörungen, Zwangsstörungen, Persönlichkeitsstörungen, Essstörungen und Suchterkrankungen.

AD(H)S wird aufgrund seiner recht allgemeinen Stresssymptomatik besonders häufig verwechselt […] eben weil  AD(H)S kein besonders eigenartiges und spezifisches Symptom hat, das eine eindeutige Diagnose erleichtert
– adsx.org


Für Betroffene stellt dies häufig einen langen Leidensweg auf der Suche nach Hilfe dar. Viele Ärzte sehen eher eine schwere und behandlungsresistente Depression oder andere Störungen vor sich, als dass sie an eine persistierte (im Erwachsenenalter weiter bestehende) ADHS denken würden. Häufig ist die Symptomatik der Betroffenen so schwer, dass ein normales Leben kaum möglich ist. Der Leidensdruck, den die Symptome beim Betroffenen auslösen, ist enorm. Immer wieder kommt es zu schweren Krisen und ständigem Scheitern an den alltäglichen Anforderungen des Lebens. Nicht selten kommt es zu Schul-, Ausbildungs– oder Studienabbrüchen, Verlust des Arbeitsplatzes, dauerhafte Arbeitsunfähigkeit oder Zerbrechen von Beziehungen und sozialen Kontakten. Zusätzlich die Ungewissheit und ständige Suche nach Antworten und Lösungen, die immer wieder durch die scheinbare Hilflosigkeit der behandelnden Ärzte zerstört wird. Dieses Martyrium verstärkt die Symptome zusätzlich und ist der direkte Weg in eine schwere Depression und Lebenskrise. Nicht zuletzt dadurch wird ADHS auch immer wieder mit einer erhöhten Suizidrate in Verbindung gebracht. Dabei wäre mit der richtigen Behandlung auch für sie ein halbwegs normales Leben möglich und sie könnten neben ihren Schwächen auch von ihren, mit einer ADHS einhergehenden, enormen Fähigkeiten Gebrauch machen.


Fehlendes Wissen oder fehlende Bereitschaft vieler Ärzte um die Ecke zu denken. Ständig stationäre Krankenhausaufenthalte. Immer wieder neue Diagnosen. Immer wieder neue Medikamente, die nicht wirken, dafür aber erhebliche Nebenwirkungen zeigen. Die Krankheit an sich ist schon belastend genug. Doch dieser scheinbar endlose Spießrutenlauf treibt einen in die Verzweiflung und man gibt sich mehr und mehr auf. Man versteht es einfach nicht. Man kämpf jeden Tag und schafft es trotzdem nicht, sein Leben zu leben. Alle anderen schaffen es doch auch! Man gibt seine Träume, seine Hoffnungen und nicht zuletzt den Glauben an sich selbst nach und nach auf.

Ich habe trotz einiger sehr hoffnungsloser Phasen nie aufgehört zu kämpfen und habe immer wieder zurück ins Leben gefunden. Wenn auch oft nur für kurze Zeit. Letzten Endes habe ich so auch zur entscheidenden Erkenntnis gefunden, dass es sich um eine persistierte ADHS handelt. Die Diagnose allein hat schon unheimlich viel geholfen, denn plötzlich hatte ich eine plausible Erklärung. Die Medikamente halfen mir bei der Bewältigung meines Alltags und ich habe gelernt, anders mit der Erkrankung umzugehen.

Ich selbst dachte immer, dass wenn ich es nur oft und lang genug versuche, werde ich es schon lernen und es funktioniert irgendwann von selbst. Dass das bei einer ADHS so nicht immer funktioniert, musste ich erst lernen. Denn je mehr man gegen sie ankämpft, je mehr Druck man sich selbst macht, desto schlimmer werden die Symptome. Und als manifestierte, neuronale Entwicklungsstörung sind nunmal einige Defizite vorhanden, die sich so nicht abtrainieren bzw. kompensieren lassen. Das richtige Maß zwischen Ausprobieren und Versuchen sowie Rücksichtnehmen und Verständnis bzw. Akzeptieren der eigenen Schwächen ist wichtig. Ich gebe nicht den Ärzten die Schuld, dass sie die ADHS bei mir nicht erkannt haben, aber ich denke es muss noch eine Menge Aufklärungsarbeit betrieben werden. – anonymes Fallbeispiel

 


Wie entsteht eine ADHS beim Betroffenen?

ADHS wird neuerdings als neuronale Entwicklungsstörung klassifiziert. Im Gegensatz zur neurotischen Störung, die hauptsächlich auf verinnerlichten, bzw. auf längerfristige belastende Lebensumstände angepasste Denk- unf Verhaltensmuster basiert, ist eine ADHS die Folge von Störungen der neuronalen Entwicklung, die sich dauerhaft manifestiert haben.

Die genauen Entstehungsmechanismen der ADHS sind  heute noch nicht vollständig geklärt. Man geht jedoch mittlerweile davon aus, dass verschiedene Entwicklungswege zum klinischen Erscheinungsbild der ADHS führen können. Das bedeutet gleichzeitig auch, dass nicht bei allen Betroffenen die gleichen neuropsychologischen und neurobiologischen Auffälligkeiten der Symptomatik zugrunde liegen. Als ziemlich wahrscheinlich gilt jedoch, dass bestimmte genetische Veranlagungen im Zusammenwirken mit belastenden Lebensumständen in den ersten 6-8 Jahren der Gehirnentwicklung zur Manifestierung einer Fehlanpassung von Botenstoffen im Gehirn führen und es somit zum Störungsbild der ADHS kommt.

Das Aufeinandertreffen von bestimmten genetischen Veranlagungen (beispielsweise eine hohe Stressanfälligkeit, Hochsensibilität aber auch Intelligenz und Hochbegabung) führt beim Betroffenen zu einer Disposition, also einer Anfälligkeit für die Entwicklung einer ADHS. Diese Anfälligkeit allein führt jedoch wahrscheinlich noch nicht zu einer ausgeprägten Störung. Erst wenn in den ersten 6-8 Jahren längerfristige, belastende Lebensumstände hinzukommen, kann es auf Dauer zu Störungen der Entwicklung einzelner Hirnregionen und damit zur Manifestation der typischen Störsymptome kommen. Dabei ist vor allem das sogenannte Neurotransmittersystem betroffen. Neurotransmitter sind Botenstoffe im Gehirn, die Signale bzw. Informationen weiterleiten und somit bei der Steuerung verschiedener körperlicher und kognitiver Funktionen beteiligt sind.

ADHS - Was passiert im Gehirn? Für einen Kurzüberblick hier klicken

Wie arbeitet unser Gehirn und was ist durch eine ADHS verändert?

Um zu verstehen, was im Gehirn eines ADHS Betroffenen vor sich geht, müssen wir uns kurz anschauen, wie unser Gehirn überhaupt funktioniert.

Aufbau des Gehirns

Unser Gehirn setzt sich aus verschiedenen Hirnregionen mit unterschiedlichen Aufgaben und Funktionen zusammen. Wahrnehmen, Fühlen, Reagieren. Denken, Sprechen, Handeln. Konzentrieren, Lernen, Erinnern. All das sind Prozesse die von verschiedenen Bereichen in unserem Gehirn kontrolliert und gesteuert werden. Wie unser gesamter Körper besteht auch das Gehirn aus Zellen, den sogenannten Neuronen. Diese nur 5-10 Mikrometer groß und ein menschliches Gehirn besitzt etwa 100 Milliarden von ihnen. Welche Funktion dabei eine einzelne Gehirnzelle übernimmt hängt davon ab, in welcher Region des Gehirns sie sich befindet.

 

Kommunikation von Gehirnzellen
Für den reibungslosen Ablauf jeder unserer Handlungen müssen unsere 100 Milliarden Nervenzellen ständig miteinander kommunizieren und Informationen austauschen. Dabei wird ein komplexer Ablauf chemischer und elektrischer Prozesse innerhalb dieses Netzwerkes aus Nervenzellen in Gang gesetzt. Einzelne Gehirnzellen können sich über sogenannte Dendriten und Axone mit anderen Gehirnzellen verbinden, um Informationen mit diesen austauschen zu können.

Über diese langen, verzweigten Arme kann eine einzelne Gehirnzelle mit bis zu 20.000 weiteren in Verbindung treten. Dort, wo sich die Arme zweier Zellen berühren, bildet sich eine sogenannte Synapse, die eine wichtige Funktion für eine reibungslose Übertragung der Informationen übernimmt. Im Gehirn werden Informationen in Form von elektrischen Impulsen übertragen. Einzelne Gehirnzellen können diese elektrischen Impulse sowohl senden, als auch empfangen bzw. weiterleiten. Dabei wird ein elektrisches Signal zwischen zwei Gehirnzellen mit einer Geschwindigkeit von bis zu 0,001 Sekunden übertragen. Innerhalb einer einzigen Sekunde können zwischen zwei Gehirnzellen also bis zu 500 Signale übertragen werden.

Aufgabe der Synapsen und Botenstoffe

Bei der Übertragung einer Information zwischen zwei Gehirnzellen gibt es also immer eine sendende und eine empfangende Zelle. Damit das elektrische Signal auch wirklich nur in eine Richtung fließt und es nicht zu einem “Kurzschluss” kommt, gibt es innerhalb der Kontaktstelle, also der sogenannten Synapse, einen Spalt. Dieser synaptische Spalt kann von dem elektrischen Signal nicht ohne Hilfe überwunden werden. Hier kommen die sogenannten Neurotransmitter ins Spiel. Kommt ein elektrisches Signal an der Synapse an, wird es von dieser zunächst in ein chemisches Signal, einem sogenannten Botenstoff, oder eben Neurotransmitter, übersetzt. Dieser kann nun den synaptischen Spalt überwinden und dockt am gegenüberliegenden Synapsenkopf an. Hier wird der Botenstoff wieder in ein elektrisches Signal übersetzt, das dann weiter gesendet zur empfangenden Gehirnzelle wird. Der Botenstoff selber wandert nun wieder zurück zum ursprünglichen Synapsenkopf, aus dem er entsprungen ist und wird von diesem wieder aufgenommen. Dieser Vorgang passiert bis zu 500 mal pro Sekunde.

Das ganze ist im folgendem Video grafisch dargestellt:

Vereinfacht könnte man sich das so vorstellen:

Die Information, die eine Hirnzelle an die andere senden will, ist nun eine Person mit Arbeitsanweisungen für eine Fabrik in einer anderen Stadt. Seine Heimatstadt ist die Hirnzelle, die die Information aussendet. Die Fabrik ist ein Teil unseres Körpers, der auf eine Arbeitsanweisung wartet und die Stadt, in der die Fabrik steht, ist die Hirnzelle, die die Information empfängt.

Nun steigt die Person in ihr Elektroauto, das hier den elektrischen Impuls darstellen soll, und fährt los in Richtung Ziel. Plötzlich stößt sie jedoch auf einen breiten Fluss ohne Brücke (synaptischer Spalt), hier geht es also nicht rüber. Zum Glück gibt es einen kleinen Hafen (Präsynapse) mit Autofähre (Botenstoff). Diese nimmt das Elektroauto (elektrischer Impuls) mitsamt Person auf und bringt es zum gegenüberliegenden Hafen (Postsynapse). Anschließend fährt die Fähre wieder zurück zum ursprünglichen Hafen. Die Person im Elektroauto kann ihre Fahrt weiter fortsetzen und am Ende die Arbeitsanweisung in der anderen Stadt übergeben.

Neurotransmitter übertragen unterschiedliche Signale
Dabei ist nicht nur entscheidend, in welcher Hirnregion dies geschieht. Es kommt auch darauf an, welcher Neurotransmitter beteiligt ist. In unserem Gehirn gibt es verschiedene Neurotransmitter, die aus unterschiedlichen chemischen Strukturen bestehen und unterschiedliche Informationen transportieren können. Zu ihnen zählen unter anderem Serotonin, Dopamin, Noradrenalin und Acetylcholin. Problematisch wird es, wenn die Konzentration bestimmter Botenstoffe im Gehirn zu hoch oder zu niedrig ist. Werden dadurch bestimmte Signale zu oft oder zu wenig übertragen, kann das ernsthafte psychische Probleme verursachen. Viele psychische Erkrankungen hängen mit einem gestörten Neurotransmitterstoffwechsel zusammen. Serotonin ist zum Beispiel mitverantwortlich für unseren Schlaf- und Wachrythmus, unser psychisches Wohlbefinden und unser Schmerzempfinden. Außerdem steuert es Appetit und Sexualtrieb.

Zu viel Serotonin kann zu Unruhe und Halluzinationen führen. Ein Mangel an Serotonin wiederum ist Auslöser für Verstimmungen, Depressionen, Angst oder Aggressionen. Dopamin dagegen ist beteiligt an der Steuerung von Bewegungsabläufen und aktiviert Motivations- und Belohnungszentrum. Dopamin wird auch beim Essen oder Sex ausgeschüttet, was bei uns den Wunsch nach Wiederholung hervorbringt. Der Dopaminspiegel kann auch künstlich erhöht werden, etwa durch den Konsum von Alkohol, Zigaretten und Drogen, führt dann jedoch schnell zu Sucht und Abhängigkeit. Ein erhöhter Dopaminspiegel führt zu Euphorie, Wachheit und Selbstbewusstsein, wird aber auch als Ursache für Schizophrenie und Manie vermutet. Auch Parkinson ist auf den Zerfall des dopaminergen Systems zurückzuführen.

Was ist bei ADHS aus dem Gleichgewicht?

ADHS geht vor allem einher mit einer Störung des Neurotransmitters Dopamin. Aber auch Noradrenalin und Serotonin spielen eine Rolle, denn sie stehen in enger Wechselwirkung mit Dopamin. Ist Dopamin in bestimmten Hirnregionen nicht genügend verfügbar, um bestimmte Signale störungsfrei zu übertragen, so kommt es zu gestörten Abläufen bestimmter Funktionen, wie etwa Aufmerksamkeit oder Impulskontrolle, was zu den typischen ADHS-Symptomen führt.

Alles was wir denken, fühlen und tun hat also mit unterschiedlicher Aktivität verschiedener Neurotransmitter zu tun. Fühlen wir uns wohl und zufrieden, so ist der Neurotransmitter Serotonin daran beteiligt. Beim Essen oder beim Sex wird Dopamin ausgeschüttet. Natürlicherweise funktioniert dieser Mechanismus also im Zusammenspiel mit dem was wir tun, denken und wahrnehmen. Kommen wir in Kontakt mit etwas, das wir mögen, kommt es automatisch zur Aktivität von Neurotransmittern, die uns gut fühlen lassen. Kommen wir in Kontakt mit etwas, das wir nicht mögen, werden Neurotransmitter aktiv, die bei uns Ekel oder Abneigung entstehen lassen. Konzentrieren wir uns, so werden die dazu nötigen Neurotransmitter ausgeschüttet und machen wir eine bestimmte Bewegung so waren auch bei der Planung, Steuerung und Ausführung dieser bestimmte Neurotransmitter beteiligt

Neurotransmitter stehen also in Wechselwirkung mit unserer Wahrnehmung und Umwelt, sowie auch zueinander und zu anderen körpereigenen Stoffen wie Stresshormonen. Es ist also ein komplexes Zusammenspiel aus verschiedenen Einflussfaktoren und sowohl aktivierender als auch hemmender Wirkung untereinander, die unser Denken, Erleben und Handeln für uns bewusst wahrnehmbar und kontrollierbar macht.


In den ersten sechs Jahren findet im Gehirn eine Art “Eichung” dieser Botenstoffe statt. Dabei wird die Konzentration verschiedener Botenstoffe aufeinander sowie auf weitere Einflussfaktoren abgestimmt. Bei akutem Stress kommt es zur Ausschüttung von Stresshormonen, die teilweise in Wechselwirkung mit einzelnen Botenstoffen stehen und so deren Konzentration beeinflussen können. Geschieht dies während der Eichungsfase und über einen längeren Zeitraum hinweg, so wird die Konzentration einiger Botenstoffe fehlerhaft auf Stresszustände geeicht. Manifestiert sich dies, so bleibt das Ungleichgewicht ein Leben lang bestehen. Bei der ADHS sind vor allem die Konzentration der  Botenstoffe Dopamin und Noradrenalin in bestimmten Hirnarealen gestört. Diese Hirnareale sind besonders für die Fähigkeiten zuständig, die bei einer ADHS gestört sind.

Eine relativ neue Theorie, die in Zusammenarbeit mit Forschern, Ärzten und Psychologen als ADS-Kompendium veröffentlicht wurde, geht davon aus, dass es sich bei allen ADHS Symptomen um potentielle Symptome von akutem Stress handelt. So lassen sich viele Symptome etwa mit einer Kampf- oder Fluchttheorie vereinbaren. Der frühkindliche, chronische Stress hat somit beim Betroffenen quasi einen sehr sensiblen bzw. dauerhaft aktiven Alarmzustand manifestiert. Dabei ist der Körper ständig bereit, einer möglichen Bedrohung zu begegnen. Hyperaktivität und Unruhe bezwecken eine erhöhte Bewegungsbereitschaft für Kampf oder Flucht. Ungefilterte Aufmerksamkeit und Ablenkbarkeit gewährleisten, dass man keine mögliche Bedrohung übersieht. Impulsivität bezweckt, dass sich das Bewusstsein auf die mögliche Bedrohung konzentrieren kann und nicht durch Abwägungen oder Konzentration auf der Bedrohung untergeordnete Tätigkeiten oder Ziele abgelenkt wird. Diese körpereigenen Funktionen stammen noch aus Urzeiten, in denen sie überlebenswichtig waren. Es handelt sich also um ganz normale Symptome, wie sie jeder gesunde Mensch bei akutem Stress erlebt. Bei ADHS-Betroffenen sind diese aber chronisch aktiv und führen zu erheblicher Belastung und Problemen, sich auf den ganz normalen Alltag zu konzentrieren.

Mehr dazu, wie sich die einzelnen Symptome im Leben eines Betroffenen äußern, können Sie im zweiten Teil dieses Artikels lesen, der demnächst hier erscheint.

 

Man nimmt heute an, dass ADHS, als eine neuronale Entwicklungsstörung, noch vor dem sechsten Lebensjahr, aber spätestens in der Grundschulzeit durch deutliche Symptome auffällig werden muss. In dieser Zeit muss sich also die Veranlagung, durch Einfluss von Umweltfaktoren, zu einer ADHS manifestiert haben. Da die Phasen der Hirnentwicklung, die durch Störung zur Bildung einer ADHS führen können, mit sechs bis acht Jahren abgeschlossen sind, kann danach auch keine ADHS mehr entstehen. Nach diesen entscheidenden ersten Jahren, hat der Betroffene entweder eine ADHS entwickelt oder er hat keine. Beide Zustände bleiben dann ein Leben lang bestehen.


Welche Risikofaktoren führen zur Entstehung einer ADHS?

Zu den Risikofaktoren, die neben einer genetischen Veranlagung zu Ausbildung und Umfang der ADHS-Störung beitragen können, zählen unter anderem Schwangerschafts– und Geburtskomplikationen, sowie der Konsum von Alkohol und Drogen während der Schwangerschaft. Außerdem stellen überforderte, allein erziehende und/oder psychisch selbst labile oder erkrankte Eltern einen Risikofaktor dar. Generell familiäre Instabilität, inkonsequente oder zu strenge und bestrafende Erziehung, sowie sozialschwache und beengte Lebensverhältnisse können dauerhafte Stressfaktoren sein, die zur Entwicklungsstörung beitragen. Nicht zuletzt spielen auch Konflikte, Ausgrenzung und Mobbing, in Kindergarten und Grundschule, aufgrund der bereits entwickelten Störung eine Rolle bei der weiteren Ausprägung und Manifestation.


Da bei der Entwicklung aller neurotransmitter- und hormongesteuerten Systeme stets zeitgleich eine “Eichung” in Form einer Anpassung an die Lebensumstände stattfindet, sind ungünstige Lebensumstände von Zeugung bis ca. 6 Jahren grundsätzlich extrem schädlich und führen zu dauerhaften Fehladaptionen der Neurotransmitter- bzw. Hormonsysteme
– adsx.org


Kindergärten und Schulen stellen oft ein schwieriges soziales Umfeld für Kinder mit ADHS dar. Nicht selten kommt es aufgrund ihres “Andersseins” zu Ausgrenzung und Mobbing, was die Sozialisation und vor allem die Persönlichkeitsentwicklung der Betroffenen massiv beeinträchtigen kann. Diese negativen Lernerfahrungen führen nicht selten zu Minderwertigkeitsgefühlen und Selbsthass, die bis ins Erwachsenenalter bestehen bleiben.

Doch auch über die besonders prägende Kindergarten- und Grundschulphase hinaus kann es an weiterführender Schule, Universität und Arbeitsplatz weiterhin zu Ausgrenzung und Mobbing kommen, was die Betroffenen in ihrem defizitären Selbstwertgefühl nur noch weiter bestätigt. Meist führen vor allem Impulsivität, Unzuverlässigkeit und falsches Sozialverhalten, aber auch besondere Kreativität, Intelligenz und Leistungsfähigkeit (zum Beispiel bei einem Thema, das begeistert) bei Mitschülern, Kommilitonen, Kollegen oder Vorgesetzten zu Kritik, Abwertung, Ausgrenzung, Neid oder sogar Mobbing.


Welche Diagnose und Behandlungsmöglichkeiten gibt es?

Zum Diagnostizieren einer ADHS bei Erwachsenen existiert bislang kein einheitliches Verfahren. Wie alle psychischen Erkrankungen ist ADHS nicht messbar und kann nur anhand der Anzahl und Zusammensetzung an Symptomen erahnt und mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit diagnostiziert werden. Gerade weil ADHS sich in der Symptomatik mit vielen anderen psychischen Störungen, sowie akutem aber psychisch normalen Stresssymptomen überschneidet, ist eine ausführliche Differentialdiagnostik besonders wichtig. Auch muss die hohe Komorbidität berücksichtigt werden und besonders den Ärzten präsent sein, dass auf Dauer entsprechende Begleiterkrankungen in den Vordergrund gerückt sein und mit ihren Symptomen die ADHS Symptomatik verdecken könnten. Um eine ADHS bei einem Erwachsenen sicher nachweisen zu können, machen sich Ärzte und Psychologen verschiedene diagnostische Verfahren zu nutze.

Diagnosekriterien für ADHS bei Erwachsenen nach Wender-Utah

Eine wichtige Voraussetzung beim Erkennen der ADHS und zur fundierten Diagnostik, ist der Blick auf die Biografie des Betroffenen. Hier ist besonders zu prüfen, ob es Hinweise auf eine typische ADHS-Symptomatik schon vor dem sechsten Lebensjahr, spätestens aber in der Grundschule gegeben hat. Um dies angemessen rekonstruieren zu können, werden unter anderem die Grundschulzeugnisse nach Hinweisen durchsucht und Verwandte zu diesem spezifischen Lebensabschnitt befragt. Gerade das Auftreten in dieser Lebensphase stellt eines der wichtigsten Indizien bei der Diagnose der ADHS dar, denn es unterscheidet sie von den meisten anderen psychischen Störungen. Bei der Diagnose von Erwachsenen müssen zudem mindestens zwei unterschiedliche Lebensbereiche (etwa Familie, Beruf oder soziales Umfeld) von den vorhandenen ADHS-Symptomen beeinträchtigt sein.


Einen Ausschnitt aus einem Fragebogen zur Selbsteinschätzung bei ADHS-Verdacht findet sich hier.
Ein typischer Fragebogen für das psychologische Interview kann hier eingesehen werden.

 


Behandlung mit Medikamenten

Das Standardmedikament zur Behandlung der ADHS ist der Wirkstoff Metylphenidat, auch Ritalin genannt. Bei Erwachsenen greift man meist zu Medikinet Adult, welches den Wirkstoff langsam über einen längeren Zeitraum abgibt. Metylphenidat gehört zu den sogenannten Phenylethylaminen, das bezeichnet eine Gruppe von chemischen Verbindungen zu denen auch viele körpereigene Hormone und Neurotransmitter gehören, auch Amphetamine werden zu dieser Gruppe gezählt und haben einen ähnlichen Wirkmechanismus wie das Medikament.

Metylphenidat-Präparate

 

Metylphenidat wirkt als sogenannter Dopamin-Wiederaufnahmehemmer. Ähnlich wie Serotonin-Wiederaufnahmehemmer als Antidepressiva bei Depressionen zu geringe Serotoninkonzentration kompensieren, so wirkt Metylphenidat auf den zu geringen Dopaminspiegel bei ADHS. Metylphenidat hat zwar eine ähnliche chemische Struktur sowie einen ähnlichen Wirkmechanismus wie Amphetamine, jedoch ist die Dosis, die zur Behandlung von ADHS eingesetzt wird, erheblich geringer und führt beim Betroffenen nicht etwa zum Rausch. Stattdessen kompensiert es, sofern es richtig eingesetzt wird, nur ein Dopamindefizit auf das Normalniveau. Dies wird häufig verglichen mit einem Diabetiker der sich Insulin spritzen muss um auf ein Normalniveau zu kommen. Dennoch birgt auch Medikinet ein hohes Missbrauchspotential und sollte nur mit großer Verantwortung eingenommen werden.


Wie funktionieren Wiederaufnahmehemmer? Für einen Kurzüberblick hier klicken

Was sind Wiederaufnahmehemmer und wie wirken sie?

Wiederaufnahmehemmer gibt es für verschiedene Neurotransmitter. Sie kommen immer dann zum Einsatz, wenn die Konzentration eines bestimmten Neurotransmitters zu gering ist. Einige werden beispielsweise als Wirkstoff zur Wiederaufnahmehemmung des Botenstoffes Serotonin in den meisten Antidepressiva verwendet. Der Wirkstoff Ritalin wiederum wird bei ADHS zur Wiederaufnahmehemmung von Dopamin verwendet um eine zu niedrige Konzentration des Botenstoffes zu kompensieren.

Der Wirkmechanismus von Wiederaufnahmehemmern setzt im synaptischen Spalt an. Ist hier die Konzentration bestimmter Botenstoffe zu gering und die damit verbundenen Signale werden nicht ausreichend übertragen, so kann dies zu Störungen bei der Steuerung und Ausführung verschiedener körperlicher und kognitiver Vorgänge führen. Ein Wiederaufnahmehemmer erhöht die Konzentration des Botenstoffes dabei nicht, sondern greift an bestimmten Stellen des Stoffwechsels ein. Bei Erkrankungen wie Depressionen oder auch ADHS sind bestimmte Botenstoffe zum einen nicht ausreichend verfügbar und zum anderen in ihrer Aktivität eingeschränkt. Statt nach der Freisetzung aus der Ursprungssynapse den Spalt zu überqueren und das entsprechende Signal im gegenüberliegenden Synapsenkopf weiterzuleiten, kommt es dazu, dass die Botenstoffe den synaptischen Spalt gar nicht erst durchqueren und nach der Freisetzung direkt wieder in die Ursprungssynapse aufgenommen werden. Eine Signalübertragung hat nicht stattgefunden.

An dieser Stelle setzt der Wirkmechanismus von Wiederaufnahmehemmern an. Sie setzen sich per Schlüssel-Schloss-Prinzip in den Wiederaufnahmekanal der Ursprungssynapse und verhindern so, dass der Botenstoff wieder in diese eindringen kann. Stattdessen bleibt er nun länger im synaptischen Spalt und dockt mehrfach am gegenüberliegenden Synapsenkopf an um das entsprechende Signal öfter zu übertragen. Somit kann ein Mangel an Botenstoffen durch Wiederaufnahmehemmung und damit verbundener, mehrfacher Signalübertragung über einzelne Botenstoffe kompensiert werden.

Das ganze ist im folgendem Video grafisch dargestellt:

Bei psychischen Störungen ist zum einen die Anzahl der Neurotransmitter verringert, als auch ihre Aktivität. Ein Signal kommt zwar am oberen Synapsenkopf an und wird in einzelne Neurotransmitter übersetzt, diese werden aber nach Freisetzung in den synaptischen Spalt vom Rezeptor sofort wieder aufgenommen, ohne dass sie am gegenüberliegenden Synapsenkopf andocken und das Signal weiterleiten konnten.

Der Wirkstoff eine Wiederaufnahmehemmers ist chemisch so aufgebaut, dass er an den Wiederaufnahmerezeptor andocken und so verhindern kann, dass der entsprechende Neurotransmitter sofort wieder aufgenommen wird. Dieser verweilt nun länger im synaptischen Spalt und dockt mehrfach an um das entsprechende Signal zu übertragen. So wird die zu geringe Anzahl an Neurotransmittern kompensiert und die Übertragung des dadurch gestörten Signals erhöht.


Weitere Medikamente zur Behandlung der ADHS sind beispielsweise Atomoxetin, Clonidin, Guanfacin, Buspiron und Bupropion. Aber auch typischen Antidepressiva wie Moclobemid, Duloxetin oder Lithium können laut Studien die Symptome einer ADHS deutlich verbessern. Häufig muss man bei der medikamentösen Behandlung zusätzlich die komorbiden Störungen miteinbeziehen und eine passende Zusammenstellung finden, die allen vorhandenen Problemen gerecht wird.


Psychotherapeutische Möglichkeiten

Da es sich bei ADHS nicht, wie bei den meisten anderen Psychischen Erkrankungen, um eine neurotische Störung (also eine aus einer Belastung heraus entwickelte bzw. erlernte Denk- und Verhaltensstörung ohne körperliche Ursache) handelt, sondern um eine neuronale Entwicklungsstörung, muss auch der psychotherapeutische Ansatz dementsprechend angepasst sein.

Das manifestierte Ungleichgewicht von Neurotransmittern bei ADHS ist demnach körperlichen Ursprungs und eine Psychotherapie hat nur bedingt Einfluss darauf. Dennoch kann eine auf die Störung spezialisierte Psychotherapie dem Betroffenen dabei helfen, zu lernen, ADHS-Symptome zu erkennen und richtig mit diesen umzugehen. Bei der Wahl der richtigen Behandlung muss jedoch auch hier auf komorbide psychische Störungen geachtet werden, die mit ihrer Symptomatik oft im Vordergrund stehen. Besonders bei diesen kann eine Psychotherapie sehr gute Erfolge zeigen. Bei der ADHS selber stehen, was die Behandlung angeht, jedoch eher die richtigen Medikamente sowie das einrichten von optimalen Alltags– und Berufsstrukturen im Mittelpunkt, um die Belastung mit Stress zu reduzieren, Einschränkungen zu kompensieren und vorhandene Fähikeiten zu fördern.

Zusätzlich können bei ADHS weitere Behandlungsmethoden wie Coachings, Psychoedukation, Neurofeedback, Konzentrations– und Entspannungstraining, sowie der Besuch von Selbsthilfegruppen dabei helfen, mit der Krankheit umzugehen und die Symptome zu reduzieren.


Mit dem richtigen sozialen Umfeld, einem passendem Beruf und einer angebrachten psychotherapeutischen und psychiatrischen Betreuung ist jedoch auch für einen ADHS-Betroffenen ein ausgeglichenes und erfülltes Leben möglich.


ADHS beschreibt eine Ansammlug an bestimmten Problemen und Verhaltensweisen, die dann entstehen, wenn ein Mensch mit einer “ADHS-Konstitution” in einem Leben steckt, das nicht zu ihm passt oder er noch nicht gelernt hat, mit seiner besonderen Konstitution richtig umzugehen. Sobald ein ADHS-Betroffener sich sein Leben so eingerichtet hat, dass zu ihm passt und sobald er Wege gefunden hat, seine Stärken zu nutzen und seine Schwächen zu managen, tritt die ADHS in den Hintergrund. Es verblasst und manchmal bemerkt man es gar nicht mehr
– Birgit Boekhoff, Ergotherapeutin und ADHS-Coach


Allein zu wissen, was die Ursache für all die Symptome und Schwierigkeiten in meinem Leben ist, hilft schon ungemein. Plötzlich gibt es eine Erklärung, die passt. Das hilft mir, die Krankheit schon ein wenig besser zu verstehen und zu akzeptieren. Zudem hilft es, den Druck von mir selber zu nehmen, alles perfekt machen zu müssen. Die Medikamente stabilisieren mich emotional und helfen mir die nötige Motivation und Konzentration für den Alltag und Beruf zu mobilisieren.

Mein Arbeitgeber ist informiert und nimmt da, wo es nötig ist, Rücksicht auf meine Erkrankung, was mir auch den Berufsalltag erleichtert. Zusätzlich lerne ich in der ambulanten Psychotherapie und in der Selbsthilfegruppe mit den restlichen Symptomen richtig umzugehen und tausche mich mit anderen Betroffenen aus. Auch die Tatsache, damit nicht allein zu sein, gibt mir viel Halt und Zuversicht, mein Leben wieder aufzubauen. Auch privat lese und informiere ich mich jetzt sehr viel über ADHS und muss dabei immer wieder staunen und auch schmunzeln, wie ich mich in vielen verschiedenen Beschreibungen anderer Betroffener wieder erkenne.

Ich blicke nun realistischer aber auch optimistischer in die Zukunft und gehe alles etwas ruhiger an. Ich weiß nicht, wohin mich mein Weg führen wird, aber eins weiß ich. Langweilig wird es bestimmt nicht! – anonymes Fallbeispiel

 


Sie haben den Verdacht, dass Sie oder jemand anders unter ADHS leiden ?
Wenn Sie den Verdacht haben, dass Sie oder jemand, der Ihnen nahe steht, unter ADHS leiden könnten, wenden Sie sich am besten an entsprechende Experten. In den Quellenangaben am Ende dieses Artikels finden Sie eine Vielzahl an Links zu Ambulanzen, Verbänden und Selbsthilfegruppen.
Demnächst können Sie im zweiten Teil dieses Artikels lesen, wie sich die einzelnen Symptome im Leben eines Betroffenen bemerkbar machen.

 


Links, Quellen & Zitate

Beratungsstellen und Ansprechpartner im Raum Münster

Vereine und Verbände

  • ADHS Deutschland e.V. Bundesweiter Selbsthilfeverein für ADHS | Link zur Seite
  • Zentrales ADHS Netzwerk, Bundesweites ADHS Expertennetzwerk | Link zur Seite

Weiterführende Informationen rund um AD(H)S:

  • Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung, Wikipedia | Link zur Seite
  • ADHS-Studien, Sammlung wissenschaftlicher Arbeiten über ADHS | Link zur Seite
  • ADHS Kompendium, sehr umfangreiche Wissenssammlung | Link zur Seite
  • ADHS.org, Wissen rund um ADHS bei Erwachsenen | Link zur Seite
  • ADHS.info, Informationsportal rund um ADHS | Link zur Seite
  • ADHSpedia, große Wissensdatenbank zum Thema ADHS | Link zur Seite
  • ADHS.de, Heilpädagogische Infos zu ADHS und Behandlung | Link zur Seite
  • ADHS20+, Schweizer Verein zum Thema ADHS bei Erwachsenen | Link zur Seite
  • ADHS-Ratgeber, Infoportal für Erwachsene mit ADHS | Link zur Seite

Foren und Communities zum Thema ADHS

  • Anderswelt Forum, Community für Betroffene, Angehörige und Interessierte | Link zur Seite
  • Krankheitserfahrung, Erfahrungsberichte ADHS Betroffener und Angehöriger | Link zur Seite

Artikel zum Thema

  • Frankfurter Rundschau Artikel zum Thema ADHS bei Erwachsenen | Link zur Seite
  • Medical Tribune Bei Erwachsenen vergehen oft Jahrzente bis zur Diagnose | Link zur Seite
  • Higgs.ch Häufig unerkannt: Auch viele Erwachsene leiden an ADHS | Link zur Seite
  • Huffingtonpost Was alle an ADHS falsch verstehen | Link zur Seite
  • 3Sat ADHS – Dopamin fehlt | Link zur Seite

Sonstige Links & Quellen

  • ADHS Coaching, Verena Polcher | Link zur Seite
  • Klinik Lüneburger Heide, Informationen zu Komorbidität, Diagnostik und Behandlung | Link zur Seite
  • Bundesgesundheitsministerium, Eckpunkte zur Versorgung von Kindern und Erwachsenen mit ADHS | Link zur Seite
  • Neurologen und Psychiater im Netz, ADHS besteht im Erwachsenenalter häufig unerkannt fort | Link zur Seite
  • Cognifit, Funktion und Aufbau von Neuronen | Link zur Seite
  • Netdoktor.at, selektive Serotonin Wiederaufnahmehemmer | Link zur Seite
  • dasgehirn.info, Nervenzellen und Signalübertragung | Link zur Seite

Bildnachweise

Robert Fischer

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