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Meinung: Atomkraft? Nein Danke!

Am 26. April 1986 war ich noch gar nicht geboren. Meine Mutter war jedoch mit großer Sorge erfüllt. Gerade einmal 5 Jahre alt war mein großer Bruder, damals noch klein und im Kindergarten, als es in Tschernobyl in der Ukraine zur Nuklearkatastrophe in Block 4 kam.

Nach dem Bekanntwerden des Unglücks gab es große Diskussionen unter den Eltern. Dürfen die Kinder noch draußen spielen? Ist der eigentlich so gesunde Salat noch essbar? Welche Auswirkungen hat das Unglück und die vom Unfallort ausgehende Strahlung auch auf das gar nicht so weit entfernte Deutschland? Die Menschen, hier in Person meiner Mutter bzw. meiner Eltern, reagierten zunächst geschockt und in erster Linie besorgt. Vor allem aber auch waren sie zunächst einmal ratlos.

Wie reagiert man auch in so einem nie da gewesenen Fall mit all seinen nicht abzuschätzenden Folgen? Welche unglaubliche Zerstörungsmacht die Nukleartechnik hervorbringen kann, hatte sich zuvor erstmals mit den Abwürfen der Atombomben über Hiroshima und Nagasaki zum Ende des 2. Weltkriegs gezeigt.

Das Reaktorunglück im ukrainischen Tschernobyl vom 26.04 1986 ist uns allen in den Köpfen geblieben. Sogar ich, der zum Zeitpunkt der Katastrophe noch nicht einmal geboren war, erwische mich im Supermarkt beim Blick auf die Packung Pfifferlinge aus Weißrussland bei dem Gedanken: Weißrussland? Das liegt doch neben der Ukraine. Wie viel Strahlung mögen die Pilze abbekommen haben?

Eigentlich sollte man meinen, wir hätten aus der Geschichte gelernt. Im Fall des Reaktorunglücks von Tschernobyl, welches sich am 26. April 2016 zum 30. Mal gejährt hat, scheint dies leider nur in kleinen Teilen geschehen zu sein. 2016 sind in Deutschland immer noch insgesamt 12 Atomkraftwerke am Netz.

Noch am 28. Oktober 2010 wurde von der Koalition aus Union und FDP mit der sogenannten „Novelle des Atomgesetzes“ der Ausstieg vom Ausstieg aus der Atomkraft und damit eine Laufzeitverlängerung verschiedener Meiler beschlossen. Die sieben älteren Anlagen sollten eine Laufzeitverlängerung von zusätzlichen acht, die neueren Kraftwerke sogar von 14 zusätzlichen Jahren bekommen. Die Pläne stießen bei Teilen der Bevölkerung auf Unverständnis, hatte man doch berechtigte Hoffnungen mit der bereits im Jahr 2000 durch die rot-grüne Regierung unter Führung von Bundeskanzler Gerhard Schröder beschlossenen Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Energieversorgungsunternehmen verbunden, die 2002 vertraglich abgesichert wurde. In der Folge wurden das Kernkraftwerk Stade (2003) und das Kernkraftwerk Obrigheim (2005) vom Netz genommen.

2010 also sollte durch die schwarz-gelbe Mehrheit im Bundestag das Ruder herumgerissen werden, und die vermeintlich saubere und umweltfreundliche Atomkraft durfte sich einer kurzzeitigen Renaissance erfreuen. Die Pläne wurden vielfach als Geschenk an die Energiekonzerne bezeichnet, stellten sie den Großen Vier (Eon, EnBW, Vattenfall und RWE) doch Gewinne in Millionenhöhe in Aussicht. Insbesondere mit Blick auf die Frage der Endlagerung des Atommülls, die mit der (Sicherheits-)Diskussion um das Endlager Asse in einem ehemaligen niedersächsischen Salzbergwerk 2014 neue Nahrung bekam, steht mindestens ein großes Fragezeichen hinter der Verbindung der Themen Atomkraft und „saubere Energie“ bzw. „ökologisch sinnvoll“.

Die Proteste rund um die Castor-Transporte, die radioaktives Material u.a. zur Wiederaufbereitung ins französische La Hague bringen, zeigen die Bedenken im Bezug auf die Nutzung der Atomkraft.

2011 kam es vor dem Hintergrund des Reaktorunglücks im japanischen Fukushima zu einer bemerkenswerten Kehrtwende der bisherigen Energiepolitik in Bezug auf die deutschen Atomkraftwerke.

Zunächst wurde am 14. März ein dreimonatiges Atommoratorium, also eine Sicherheitsüberprüfung der deutschen Kernkraftwerke beschlossen, bevor am 6. Juni desselben Jahres das „13. Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes“ im Bundestag beschlossen wurde. Neben der stufenweisen Abschaltung der deutschen AKWs, von denen acht noch 2011 ihre Zulassung verloren, sollte auch die sogenannte „Energiewende“, also der Ausbau und die Förderung alternativer Energien forciert werden. Deutschland sah den Atomausstieg nunmehr als Chance. Es könnte eine Beispielfunktion erfüllen und die Wirtschaft eine Pole-Position im Bereich „grüner“ Technologien wie z.B. der Solarbranche einnehmen.

Gut ist in jedem Fall, dass der Atomausstieg seit 2011 beschlossene Sache ist. Stellt sich mir nur die Frage: Wieso erst 2011? Hätte man nicht schon in direkter Folge des Reaktorunglücks in Tschernobyl, also 1986, die Reißleine ziehen müssen? Immerhin hatte die 1998 aus der Bundestagswahl hervorgegangene rot-grüne Regierung „schon“ im Jahr 2000 den Ausstieg aus der Atomkraft beschlossen. Jedoch sah es unter Führung von Angela Merkel noch 2010 danach aus, als würde die Kernenergie trotz aller zurecht geäußerten Bedenken weiterhin wichtiger Bestandteil des sogenannten „Energiemixes“ darstellen.

Wieso musste es 2011 in Fukushima erst ein weiteres Atomunglück geben, um die Politik zum Umdenken zu bewegen?

Natürlich kann man die Reaktoren nicht einfach umgehend abschalten, sondern muss für ausreichend Energie sorgen, um dem vor allem seitens der Energiekonzerne gezeichneten Schreckgespenst des „Blackout“ vorzubeugen. Doch im Jahr 2016 gibt es zum Glück eine Vielzahl an Alternativen der Energiegewinnung, die unseren „Energiemix“ sinnvoll ergänzen und die Atomkraft nach und nach ablösen können. Die regenerativen Energien sind zwar nicht zuletzt aufgrund der Speicher- und „Transportprobleme“ von Energie noch nicht in der Lage, den Atomausstieg gänzlich aufzufangen, jedoch kann beispielsweise die Windenergie im Zusammenspiel mit modernen und daher durchaus effizienten Gaskraftwerken einen großen Teil unseres Energiebedarfs decken. Zudem ist die Kernenergie meiner Meinung nach auch nicht, wie oftmals propagiert, sonderlich günstig, rechnet man die Kosten für die immer noch nicht eindeutig und zufriedenstellend geklärte Endlagerung mit ein. Auch der Uranabbau, der größtenteils in Entwicklungsländern und auf Kosten der dortigen Bevölkerung und des Ökosystems vor Ort geschieht, ist mindestens fragwürdig. Im Bezug auf die nicht gerade umweltfreundliche Kohleenergie steht dem ökologischen Argument zweifelsohne ein ökonomisches Argument des „Energiedefizits“ gegenüber.

Welcher Kraftwerksbetreiber möchte denn auch schon ein bereits gebautes und abgeschriebenes Kraftwerk stilllegen, um auf erneuerbare Energiequellen umzustellen, die möglicherweise auch noch etliche Forschungsgelder und diverse andere Investitionen nach sich ziehen und eben erst gebaut werden müssen?

Im Falle der Windkraft gibt es zudem das Problem, dass Teile der Bevölkerung dem Bau von neuen Rädern eher skeptisch gegenüber stehen oder der Meinung sind: „Windenergie gerne, aber ein Windrad in meiner Nähe? Nein danke!“

Insbesondere Im Fall der Kohleenergie steht dem ökologischen Aspekt zudem ein sozialer Aspekt gegenüber. An der Kohleenergie und der Förderung der Kohle hängen tausende Arbeitsplätze, die bei einer Umstellung auf nachhaltige und ökologisch sinnvolle Energiegewinnung nach und nach verloren gingen. Somit ist die Diskussion über die Art und Weise unserer Energiegewinnung immer auch eine politisch aufgeladene, die gegen Populismus jedweder Couleur nicht gefeit ist. Aber zurück zur Kernenergie.

In Deutschland ist die Kernenergie glücklicherweise nunmehr ein Auslaufmodell. Schon blickt man mit Sorge über die Grenze nach Belgien, wo die AKWs Tihange 2 und Doel 3 mit Störfällen auf sich aufmerksam machen. In einem neuen Gutachten kritisieren die Grünen, die Meiler hätten aufgrund von Sicherheitsmängeln nie ans Netz gehen dürfen. Die Kritik an den grenznahen belgischen Kernkraftwerken reißt nicht ab. Andere Länder der EU, wie beispielsweise Großbritannien oder Ungarn, planen gar den Neubau von Atomkraftwerken.

Dabei müsste man es heutzutage doch eigentlich besser wissen. Gibt es nicht andere Möglichkeiten, unseren Hunger nach Energie zu stillen? Brauchen wir 2016 wirklich noch neue Atomkraftwerke?

Auf völliges Unverständnis stoßen bei mir letztendlich die neuesten Pläne der Ukraine. Die Regierung plant ernsthaft die Fertigstellung zweier Blöcke des in den 80er Jahren gebauten Atomkraftwerks Chmelnitzky. Die Finanzierung soll unter Mithilfe der EU ausgerechnet durch den Export von Atomstrom nach Polen finanziert werden. Dabei ist die Sicherung der Unfallstelle in Tschernobyl von 1986 durch den „Sarkophag“ aus Beton offensichtlich mangelhaft, die Folgen des Unglücks heute, 30 Jahre nach der Katastrophe, vermeintlich immer noch nicht in Gänze absehbar und die Region um Tschernobyl nach wie vor aufgrund der übermäßigen Strahlung unbewohnbar.

Die Geschichte lehrt uns also, dass wir es eigentlich besser wissen müssten.

Deutschland sollte seine Vorzeigerolle aktiv nutzen und auf andere Länder einwirken, um den Neubau von Atomkraftwerken zu verhindern und den Gedanken der „Energiewende“ in die Köpfe anderer Regierungen zu pflanzen und so das Handeln in Bezug auf die Energiepolitik im Sinne ökologischer Nachhaltigkeit positiv zu beeinflussen.

Atomkraft? Nein danke!

Fabian Lickes

2 Kommentare

    • Hallo Berne! Ja das stimmt die Offshore-Windparks sind wirklich ziehmlich Leistungsstark. Auch das Problem, dass viele Menschen keine Windräder nahe ihrem Wohnhaus haben möchten (aus teilweise nachvollziehbaren Gründen)
      entfällt hier.
      Der Ausbau der erneuerbaren Energien ist natürlich überaus wünschenswert. Kritisch hinterfragen sollte man hierbei jedoch noch den „ökologischen Fussabdruck“ der genutzten Technologien bzw deren Herstellung.