Was Münster nicht alles hat: das erste deutsche Picasso-Museum, den Titel der Fahrradhauptstadt, ziemlich viele Studierende und Kirchen. Aber wer hätte gedacht, dass im Jahr 1972 auch die erste Schwulendemo der damaligen BRD in Münster stattfand und nicht, wie eher erwartet, in der damaligen Hauptstadt Bonn.
Jegliche Toleranz und Liberalität der heutigen Tage basiert auf den Demonstrationen und Aktionen der letzten 45 Jahre, angefangen mit den großen Protesten in Amerika, die sich gegen polizeiliche Gewalt und Diskriminierung auflehnten. Der Ort der damaligen Demonstrationen wurde zum deutschen Namensgeber: Christopher Street. Jährlich wird in den Sommermonaten an dieses wichtige Ereignis erinnert. Wer die heutigen Gay-Pride-Paraden kennt, kann sich kaum vorstellen, wie schwer es Anfang der 70er-Jahre noch war, als homosexueller Mann öffentlich aufzutreten – und es fehlten noch Lesben, Trans-, Pan-, Bi- und Intersexuelle. In dieser Hinsicht hat sich bis heute schon einiges getan.
Doch es reicht nicht, nur einmal im Jahr für Gleichberechtigung und gegen Sexismus auf die Straßen zu gehen. Noch ist eine vollständige Toleranz und Akzeptanz in der Gesellschaft nicht erreicht – beziehungsweise macht schon wieder Rückschritte. Um an die erste deutsche Schwulendemo, an erreichte Ziele und an die, die noch vor uns liegen, zu erinnern, wurde am 45. Jahrestag die Originalroute der Demo abgelaufen
Zwei Tage zuvor trafen sich Vertreter*innen verschiedener Organisationen zu einer Podiumsdiskussion am Schloss. Inzwischen geht es nicht mehr nur um eine Schwulenbewegung, sondern um die gesamten LSBTQ-Bewegungen.
Als Zeitzeuge der 70er Jahre war Sigmar Fischer eingeladen, der an der ersten Demo zwar nicht teilnehmen konnte (weil er sich tatsächlich an diesem Tag vor seinen Eltern notgedrungen outen musste), aber veranschaulichen konnte, was in der Zwischenzeit alles erreicht wurde. Die Landesgeschäftsführerin der Landesarbeitsgemeinschaft Lesben in NRW (LAG) Gabriele Bischoff, sprach mit uns darüber, wie wichtig solch eine Veranstaltung ist. Moritz Prasse, Sozialpädagoge und eine*r der Organisator*innen der Kampagne „dritte Option | Für einen dritten Geschlechtseintrag“, sprach über die Sichtbarkeit von Trans- und Intersexuellen in der Gesellschaft. Patrick Orth unterstützte die Runde als Vorstandsmitglied des CSD e.V. Hamburg. Eingerahmt wurde die Diskussion von einem Vortrag und der Moderation von Patsy l’Amour laLove, Geschlechterforscherin und Autorin aus Berlin.
Nach den Wortbeiträgen auf dem Podium wurde die Diskussion auch vom Publikum unterstützt. Immer wieder ging es um Sichtbarkeit, den Umgang mit Homophobie/Sexismus und Entwicklungen, die noch stattfinden müssen. Auch die Angst eines möglichen Rückschritts, gerade zur Zeit der aufkommenden rechten Bewegungen, und die Möglichkeiten der Verteidigung der erreichten Werte wurden zum Thema gemacht.
Der CSD e.V. Münster versucht seit seiner Gründung 2010, jährlich mehrere Veranstaltungen zu organisieren, nicht nur um den historischen Jahrestag zu feiern, sondern um immer wieder auf die unterschiedlichen Lebensweisen aufmerksam zu machen und Druck auf die Politik auszuüben.
Im kommenden Sommer werden die ersten drei Wochen im August ganz im Zeichen der Internationalen Pride Weeks stehen, mit vielen Aktionen und Festen in Münster.
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