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Kuchengespräch mit Martje

An einem kalten verschneiten Nachmittag im Januar ziehe ich los, um diesmal eine etwas andere Art der Begegnung auszuprobieren. Vor ein paar Monaten habe ich in der Zeitschrift “Slow” einen Artikel über eine Frau aus Berlin gelesen, die ihre Nachbarn näher kennenlernen wollte. Mit einem selbst gebackenen Kuchen zog sie durch die Nachbarschaft und traf auf verschiedenste Lebenswelten. Ich probiere aus, wie diese Aktion hier bei uns in der Nachbarschaft ankommt und treffe auf Martje.

Kannst du dich einmal kurz vorstellen?

Ich bin Martje, ich bin 20 Jahre alt und komme eigentlich aus der Nähe von Oldenburg, tendenziell noch eher Richtung Nordsee. Ich hab mich hier in Münster am UKM für die Ausbildung zur Diätassistentin beworben, die ich jetzt seit Oktober mache. Das ist eine schulische Ausbildung und deshalb jobbe ich nebenher noch beim Bio-Supermarkt.

Du hast im Sommer deine Ausbildung hier begonnen. Das heißt, du bist jetzt auch erst seit knapp einem halben Jahr in Münster?

Ja, genau. Ich habe auch erst einen kurzen Einblick hier ins Viertel.

Das ist auch gar nicht schlecht, einen Blick von jemandem zu bekommen, die noch relativ neu hier ist. Hattest du Münster als Stadt auf dem Schirm oder eher die Ausbildung?

Ja, ich hatte Münster schon auf dem Schirm. Auch als alternative Studentenstadt. Von den Studiengängen her gab es aber nichts Interessantes für mich und deswegen ist Münster erst mit der Ausbildung richtig auf den Plan gekommen. Das erste Mal in Münster war ich dann für die Bewerbungsgespräche. Das war Liebe auf den ersten Blick! Man muss nur mal in die Innenstadt gehen, da ist alles total süß. Es war ein schöner Sommertag und für mich war klar: Hier lässt es sich sehr gut leben! Ich habe auch wirklich Glück hier direkt im Hafenviertel gelandet zu sein. Erst habe ich an Gievenbeck gedacht zum Wohnen, weil das nah am Klinikum ist. Wenn ich so drüber nachdenke, ist es interessant, was ich mir vorher so vorgestellt habe, wie ich dann hier lebe und wie es jetzt ist.

Also wie das Viertel ist?

Ja, und auch in Münster. Oft kam auch als Reaktion „Oh… Münster… ganz schön spießig. Ach, das ist doch auch dekadent, ach ja… hat ja eine ganz nette Innenstadt.“ Von daher hat mich Münster als Stadt wirklich positiv überrascht und ich bin immer noch begeistert.

Wie bist du denn dann im Ostviertel gelandet?

Ich hatte das Glück über Facebook das Zimmer zu finden. Ich habe alle möglichen Wege genutzt. In der Gruppe „Wohnen in Münster“ habe ich eine Anzeige über mich veröffentlicht und dort hat die Vermieterin mich angeschrieben. Meine Vermieterin hat jemanden gesucht, der mit ihrer Familie mit im Haus wohnt, aber das Dachgeschoss als eigenen Bereich hat. Wir haben uns dann getroffen und es hat direkt gepasst. Ich hab erst jetzt gemerkt, was für ein Glück ich hatte! In Münster ist das mit den Wohnungen ja schon so eine Sache… Darüber war ich auch wirklich überrascht, weil ich ja vom Land komme. Da hatte ich ein großes Zimmer, alles ist ein bisschen anders, alles auch günstiger. Münster ist schon eine andere Nummer.

Ja, die Lage und dieses Zimmer ist wirklich ein Jackpot. Du hast gesagt, deine Vermieterin wohnt mit im Haus. Wie funktioniert das?

Dazu habe ich mir im Vorhinein auch Gedanken zu gemacht und war dem Ganzen sehr positiv gegenüber gestimmt. Auch weil ich mich mit der Vermieterin von Anfang an gut verstanden habe und ihre Kinder total lieb sind. Im Verlauf gab es dann schon Punkte, an denen ich gemerkt habe, dass wir uns auch aneinander gewöhnen müssen. Ich musste mich auf sie und das Familienleben einstellen. Nicht dass ich mich genötigt gefühlt habe, an dem Familienleben teilzunehmen, sondern eher, weil ich einfach fremd hier bin und man sich aneinander gewöhnen muss. Wir nutzen zum Beispiel die Küche gemeinsam. Am Anfang war das für meine Vermieterin gewöhnungsbedürftig, weil ich viel koche und die Küche direkt ans Wohnzimmer angeschlossen, das heißt auch Teil ihrer Privatsphäre ist. Wir haben uns mittlerweile so arrangiert, dass ich bis abends alles erledigt habe in der Küche. Für hier oben, also in meinem Bereich, habe ich jetzt auch eine Mikrowelle. Da kann man auch drin kochen. (lacht).

Ich habe mir im Nachhinein gedacht, dass ich vielleicht mal bei den Nachbarn hätte klingeln sollen, als ich neu eingezogen bin.

Unternimmst du auch etwas mit der Familie?

Ja, ich koche 1 Mal in der Woche für die Familie und esse mit ihnen. Das entlastet meine Vermieterin dann auch, weil sie voll berufstätig ist.

Das ist cool. Darum dreht sich ja auch ein bisschen der Ansatz gerade. Es soll ja auch darum gehen, spontanen, ehrlichen Kontakt zu haben. Gerade wenn man eine Familie vorher nicht kennt, ist das ja auch ein sehr intimer Rahmen.

Ja, ich bringe meiner Vermieterin da auch echt viel Respekt gegenüber, sich da so zu öffnen.

Da ist ja auch ein großes Vertrauen mit verbunden.

Ja, genau. Das finde ich echt schön.

Wie ist die Familie hier so ins Viertel integriert?

Meine Vermieterin hat hier auf jeden Fall Bekannte, die auch in der Nähe wohnen, die Söhne gehen hier zur Schule. Ich hab auch echt schnell so eine Verbundenheit hier zu dem Viertel gespürt. Auch durch die Nähe zur Wolbecker Straße, das genieße ich total. Und auch die Nähe zum Kanal, da gehe ich gerne joggen. Für mich lädt das Viertel echt zum Wohlfühlen ein. Beim Bennohaus wollte ich auch mal vorbeikommen.

Ja, und jetzt kommt das Bennohaus zu dir (lachen). Was schätzt du hier im Viertel? Was ist vielleicht auch einmalig?

Für mich ist die Wolbecker Straße schon echt was Besonderes. Ich finde die Cafés und das Treiben geben einem ein warmes Gefühl. Ich beobachte auch gerne das Geschehen. Einmalig im Viertel finde ich, dass es so super nah an der Stadt ist und dann aber, sobald man über den Kanal rüber ist, das „Dorf“ losgeht. Dazwischen ist dann auch noch Wasser. Alles ist nah, aber ich fühle mich nicht bedrängt. Hier sind auch keine Hochglanzhäuser, sondern einfach normale Wohnhäuser. Das finde ich auch schön. Mein Blick in den Garten ist auch toll. Generell in dem Zimmer hier fühle ich mich wohl. Das ist ein Ort an dem ich mich zurückziehen kann. Das ist ja auch die andere Seite vom Trubel – manchmal ist es auch gut, davon Ruhe zu haben. Für mich als Dorfkind ist die Wolbecker Straße schon teilweise überwältigend mit den ganzen Angeboten.

Wie erlebst du denn die Nachbarschaft?

Ich habe mit der direkten Nachbarschaft eigentlich nur eine Erfahrung, nämlich als ein Päckchen abgegeben wurde… (lacht) Man sagt sich hier aber immer „Hallo“. Ich habe mir im Nachhinein gedacht, dass ich vielleicht mal bei den Nachbarn hätte klingeln sollen, als ich neu eingezogen bin. Es ist ja schon schön zu wissen, wem man an der Straßenecke begegnet. Aber für mich war auch nicht ganz klar, wie lange ich hier wohnen bleibe. Jetzt habe ich mich hier so ein bisschen gefunden und könnte der Nachbarschaft gegenüber auch ein bisschen lockerer werden. Aber gut, jetzt ziehe ich auch schon wieder in ein anderes Viertel.

Sich grüßen ist ja an sich schon cool. In Mehrfamilienhäusern, wo viele Parteien wohnen, ist es ja auch oft so anonym, dass nicht mal das passiert.

Ja, das denke ich auch. Ich frage mich auch manchmal, wenn ich so durch die Straße fahre: „Wer wohnt hier?“ Es sind so viele Häuser und man ahnt gar nicht, wie viele Zimmer es teilweise darin gibt und wie viele Menschen dann dort leben. Ich frag mich dann auch oft: „Was sind das für Menschen?“ Oder wenn man so ein bisschen in die Häuser reingucken kann und dann zum Beispiel eine witzige Wand sieht, dann frage ich mich: „Zu wem gehört die wohl? Wer hat die so gestaltet?“

In meiner Situation, also neu anzukommen in einer Stadt, habe ich gemerkt, dass man mit Offenheit gut Anschluss finden kann.

Das finde ich auch immer spannend. Auch in WGs, wenn man sich vorstellt, wie viele Menschen dort schon in den Zimmern gewohnt haben, wie viele Geschichten dort erlebt wurden.

Ja, weil man ja auch gar nicht ahnen kann, was hinter so einer Fassade steckt.

Ja, hinter die Fassade zu blicken ist ja auch ein wichtiger Teil unseres Ansatzes. Was hältst du eigentlich davon, dass wir dich hier so besuchen und dir Fragen stellen?

Ich finde euer Projekt klasse, weil ich mich echt schon oft gefragt habe, wer hier im Viertel wohnt. Außerdem ist es irgendwie auch gut, aus seinem Alltag rausgerissen zu werden durch einen spontanen Besuch. Es ist es eine unglaublich schöne Entwicklung meines Nachmittags. (lacht)

Bei uns im Team waren viele skeptisch und meinten, dass funktioniere niemals. Das ist ja auch schon krass: Du bringst uns aber dein Vertrauen entgegen, du hast uns reingelassen.

Ja, das hat was mit Offenheit zu tun, denke ich. In meiner Situation, also neu anzukommen in einer Stadt, habe ich gemerkt, dass man mit Offenheit gut Anschluss finden kann. Man kann aber auch genauso schnell in einer Stadt versinken. Obwohl hier so viele Menschen leben, nur halt jeder für sich.

Würdest du dir mehr Aktionen wünschen, die Raum geben für einen Austausch?

Ja, schon. Viele trauen sich ja auch vielleicht einfach nicht. Obwohl sie die Offenheit haben auf andere zuzugehen. Dann überwiegen die Bedenken zu stören oder dass das komisch wirkt und man denkt sich: „Ach, ist auch gar nicht nötig, passt schon“. Es kann helfen, wenn Leute dann auf einen zukommen.

Wie ist so deine Einschätzung von der Mentalität der Leute hier?

Mir wird immer gesagt, der typische Westfale ist total verschlossen und braucht seine Butterstulle mit 1cm Salami drauf. Das wurde mir echt oft gesagt – der verschlossene, sture Westfale. Ich erlebe das aber ganz anders. Manchmal treffe ich auf der Arbeit im Bio-Laden die dekadente, spießige Seite von Münster. Aber hier im Ostviertel sind die Leute echt das komplette Gegenteil. Generell erlebe ich die Münsteraner als aufgeschlossen und nett.

Bevor ich loszog, gab es durchaus Skepsis, ob überhaupt Leute in diesem Rahmen mit mir sprechen wollen und sich Zeit für mich nehmen. Ich wurde mehr als positiv überrascht, als Martje direkt so offen mit mir umgegangen ist und wie selbstverständlich einen Tee aufgesetzt hat.

Fotos: Judith Kreuzberg

Oskar Scheck

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