Unser Weg führt uns heute in die Ewaldistraße 16. Dort gibt es von der Caritas ein Angebot der Wohnungslosenhilfe. Als wir ankommen, sitzt Siegfried an einem runden Tisch mitten im Raum und begrüßt uns freundlich. Wir sind für ein Interview verabredet.
Kannst du dich einmal vorstellen?
Ich heiße Siegfried, ich bin jetzt in Rente gegangen dieses Jahr. So großartig gibt’s jetzt eigentlich nichts zu erzählen über mich. Im Moment bin ich sozusagen etwas in der Versenkung verschwunden. Früher habe ich Musik gemacht in verschiedenen Bands und ja, was hab ich noch gemacht? Bühnen habe ich gebaut! Also, ich hab immer was gemacht, was mit Kunst zu tun hatte und mit Musikern. Für Peter Maffay und Udo Lindenberg habe ich auch Bühnen gebaut. Bis ich dann durch meine Krankheit, den Zucker, einen Zeh verloren habe. Da ging natürlich nichts mehr, weil es dann auch mit dem Gleichgewicht schwierig wurde.
Also das heißt, du hast Bühnen gebaut, aber selbst auch als Musiker auf welchen gestanden. Welches Instrument spielst du?
Richtig. Ich bin Bassist.
Was für Musikrichtungen interessieren dich?
Blues!
Hattet ihr dann auch auf Auftritte als Band?
Na klar, sonst würde ich mich nicht Musiker nennen! (lacht) Das Größte war, als Vorband von Bruce Springsteen in Köln zu spielen. Das ist aber schon Jahre her. (lacht) Früher war alles ganz groß. Ich habe angefangen mit „Floh de Cologne“, das war eine Politrockband in den ‘70ern. Danach habe ich eine Zeitlang bei „Epitaph“ gespielt.
Ich habe eigentlich immer am liebsten in kleinen Clubs gespielt.”
Das heißt, ihr habt dann auch Touren gemacht?
Ja, genau. Wir haben dabei auch ganz gut verdient.
Mit welcher Besetzung habt ihr gespielt?
Bass, Gitarre, Schlagzeug, Keyboard und Sologitarre. Bei „Floh de Cologne“ auch mit einem Sänger.
Hast du eine besondere Erinnerung ein einen Auftritt?
Ne, ich habe eigentlich immer am liebsten in kleinen Clubs gespielt. Da gab es damals in Dortmund manchmal so Abende, an denen man mit einer Eintrittskarte in 10-12 verschiedene Kneipen gehen konnte. In den Bars haben dann Bands gespielt. Da haben die Leute einen nicht unbedingt erkannt und es gab keine große Show drum herum. Da hieß es: Einfach hinsetzen und Musik machen! Das hab ich schon immer am liebsten gemacht – und das mach ich jetzt auch wieder.
Wie machst du das heute?
Ich hab mir jetzt wieder ein paar Instrumente gekauft, ich spiele nämlich auch mehrere: Gitarre, Schlagzeug und Keyboard.
Spielst du auch gerade in einer Band?
Ne, aber hier in der Nähe ist eine Kneipe, die “2te Loge”, da ist samstags immer „Session“, und dort geh ich gerne hin. Das geht so ab acht Uhr los und um elf Uhr ist dann Schluss – wegen den Nachbarn. Auf die muss man schließlich Acht geben, die Kneipe ist ja mitten im Viertel. Das macht mir Spaß – mit Leuten, die man überhaupt nicht kennt, sich einfach hinzusetzen und schönen Blues zusammen zu spielen. In einer Band spielen geht nicht mehr, weil ich mit dem Fuß nicht mehr lange laufen und stehen kann. Die Zeiten sind vorbei.
Wenn du jetzt in Rente gegangen bist, wie gestaltest du dann deine Tage?
Meistens mit Musik machen und komponieren. Das ist immer noch so der Großteil. Ansonsten eigentlich nicht viel. Ab und zu mal in die Stadt gehen oder hier mal mit der Kathi (Mitarbeiterin von der Caritas; J.K.) eine Runde Spazieren gehen.
Woher holst du deine Inspiration, wenn du komponierst?
Das fliegt mir zu. So viele Jahre an Erfahrung – da kann man immer auf was zurückgreifen und was Neues draus machen. Das ist schon schön! Meine persönlichen Interessen sind dann doch ein bisschen anders als das, was ich immer gemacht habe – ich bin ja reiner Blues-Musiker, ich steh aber sehr auf das Bombastische. Pink Floyd ist toll. Aber ich hab nie Leute getroffen, mit denen ich sowas hätte verwirklichen können.
Ja, stimmt. So kreative Prozesse sind schon abhängig davon, mit wem man sie macht. Das kann ich nachvollziehen. Kannst du einmal erzählen, was die Caritas hier an der Ewaldistraße macht?
Also als große Überschrift würde ich mal sagen „ Hilfe für Gestrandete“. Ich bin damals durch die Krankheit ziemlich abgestürzt. Ich habe aber auch vorher nicht gerade so gelebt, wie man eigentlich leben soll. Irgendwann bin ich dann ganz abgekommen und dann regelrecht auf der Straße gelandet.
Ich kenne von München bis Kiel so ziemlich jede Stadt.”
Bei dem Angebot hier, gibt es die Möglichkeit zu wohnen? Oder was umfasst das hier alles?
Ja, genau. Ich habe ein eigenes kleines Apartment. Eins der wenigen – wegen der Krankheit. Die meisten wohnen zu zweit oder zu dritt, aber jeder hat sein eigenes Zimmer. Wie so WG’s. Dann gibt es noch Hilfe in Amtssachen und manchmal eben Angebote wie Spazierengehen oder einfach auch einen Ansprechpartner zu haben. Das ist schon eine ganz feine Sache, ich hab mich hier ziemlich entwickelt, so dass ich wieder selbstständig bin. Wenn man auf der Straße gelebt hat, wenn man im Zelt gelebt hat, auch im Winter sich den Arsch abfriert und nicht weiß, wo man die nächste Malzeit herbekommt… das war die schwerste Zeit in meinem Leben. Nach der Schulzeit. (lacht)
Kommst du eigentlich aus Münster?
Nein, ich komme aus Dortmund. Aber ich habe schon in vielen Städten gewohnt, mit der Arbeit war immer viel Umziehen angesagt. Aber in Münster gefällt’s mir am besten. Und ich kenne von München bis Kiel so ziemlich jede Stadt! Ich habe bestimmt in 25 Städten gewohnt – das ging ja nicht anders. Der künstlerische Beruf ist eben mit viel Flexibilität verbunden. Wenn da gerade in München eine Band einen Bassisten braucht und man davon in der Fachzeitschrift liest, dann bewirbt man sich halt.
Gibt’s noch was, was du erzählen möchtest?
Nichts Besonderes. Mit den ganzen Erfahrungen in der Musikszene verändert sich aber doch auch die Sicht auf viele Dinge. Man denkt dann nicht mehr: „Boah, der und der Star!“ Es sind letztendlich alles auch bloß Menschen. Das sind so Sachen, die man feststellt. Man ist natürlich auch viel skeptischer, wenn man sich dann Bühnenshows oder so mal im Fernsehen anguckt. Es gibt auch schon Unterschiede zu früher: Es wird heute mehr gekünstelt, viele Stars singen nicht mehr richtig. Bei der Volksmusik vor allem. Wenn man dann mal eine Show bei Maffay erlebt hat, bei der live gesungen wird, weiß man, dass das was ganz anderes als im Fernsehen ist! Im Fernsehen kann man alles wiederholen oder rausschneiden, das ist bei so einer richtigen Bühnenshow nicht möglich. Da stolpert auch schon mal ein Udo Lindenberg. (lacht)
Naja, also man konnte leben von dem Bühnenbau und vom Musikersein. Man muss nicht reich sein, aber kann davon leben. Aber heute habe ich nur eine Rente von 200€. Man hat ja nirgendwo eingezahlt. Wenn man krank war, hat man zugesehen, dass man schnell wieder gesund wird, und weiter arbeitet. Oder man hat halt das ganz große Pech. So wie das bei mir war.
Was heißt das?
Ich hatte mit meiner Freundin damals zusammen einen Bauernhof gekauft. Den habe ich selbst renoviert und bin beim Arbeiten vom Dach gestürzt. Dabei habe ich mich ganz schwer verletzt. Ja, und die Krankenhausrechnung war dann so groß, dass wir den Hof wieder verkaufen mussten. Da war dann nicht nur der Hof weg, sondern auch die Freundin. Ach, aber das ist lange her. Man hat von einem Tag auf den anderen Tag gelebt, als Musiker denkt man nicht an Zukunft.
Und jetzt, hast du jetzt Vorstellungen für die Zukunft?
Ne, der einzige Wunsch ist gesund zu werden. Wieder einigermaßen richtig laufen zu können. Solche Sachen. Ich habe meine Kneipe, wo ich samstags Musik machen kann, ich habe meine Instrumente. Das reicht mir.
Das Gespräch endet mit einer Diskussion über die Platten von Pink Floyd.
Fotos: Alex Duk
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