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Spielplatz oder Computer?

Computerspiele machen Spaß. Besonders Jugendlichen. Eltern haben manchmal eine etwas andere Vorstellung vom Umgang mit Videospielen, so dass es schon mal zu Meinungsverschiedenheiten kommen kann. Torben Kohring ist dafür der richtige Ansprechpartner. Er ist Leiter der Fachstelle für Jugendmedienkultur in Köln und war am 10. April für seinen Vortrag „Endgegner Computerspiele – Wie wir mit Games in der Familie umgehen“ in Münster. Wir trafen ihn bei seinem Vortrag zum Interview.

Welche Rolle spielt die hormonelle Entwicklung bei Jugendlichen beim Computer spielen?

Die pubertäre Phase ist eine Ausnahmesituation. Der Körper stellt sich um, und es geht psychisch natürlich darum, sich ein Stückweit von den Eltern loszulösen und eigenständig zu werden. Das bedeutet, dass man einfach nicht so empfänglich für Regeln ist, und man befindet sich gerade in einem hormonellen Auf und Ab, d.h. man wird für Dinge empfänglicher, für die man als Kind vielleicht noch gar nicht so empfänglich war. Jugendliche suchen den Nervenkitzel. Diese gefühlte Unsterblichkeit des Pubertierenden ist das, was die Pubertät eigentlich so gefährlich macht, weil sie sich tatsächlich, wie wir es aus James-Dean-Filmen oder auch aus der Literatur kennen, in diesem Augenblick für unsterblich halten und sich von niemanden etwas sagen lassen wollen. Das macht es gerade in Bezug auf faszinierende Medien extrem schwierig, in dieser Phase Regeln einzuführen, wenn eigentlich der Abwehrmechanismus biologischer Art zuschlägt und der Jugendliche sich vom Elternhaus ein Stückweit autark machen möchte.

Dann ist der Jugendliche natürlich auch eine Lernmaschine, ein Mensch in der vielleicht krassesten Lebensphase seines Lebens, in dem alles nochmal umgeschrieben wird, was man vorher an Verhaltensweisen abgespeichert hatte. Da möchte man natürlich auch etwas erleben und die Sachen machen, die aktuell sind, die hip sind und Nervenkitzel versprechen. Da möchte man nicht die langweiligen Sachen machen, die die Eltern vielleicht schon gemacht haben.

Torben Köhring bei seinem Vortrag am 10. April in Münster (Foto: Pascal Hannig)

Welche Spiele finden Jugendliche besonders gut?

Das sind dann meistens nicht die Spiele, die die Eltern pädagogisch gut und wertvoll finden. Es sind eher sehr kampfbetonte Wettbewerbsspiele. Die müssen auch nicht immer martialisch sein, aber der Wettbewerb muss im Vordergrund stehen. Das ist beispielsweise auch ein Fifa, wo man tatsächlich der Beste mit den coolsten Tricks sein kann. Gerade bei den kleineren Jungs kennt man ja eine Körperlichkeit und Rivalität, wenn es darum geht, den anderen besiegen zu wollen. Das ist allerdings häufig etwas, was wir Mädchen in dieser Gesellschaft gar nicht so zuschreiben, obwohl die dieses miteinander Messen auch haben. Bei denen gehen Eltern und Erwachsene viel früher auf eine sozialen Ebene, und die Jungs haben tatsächlich auch so einen kampfbetonten und sportlichen Wettkampf, den sie dann später auch ein Stückweit in die Auswahl ihrer Spiele übertragen. Wenn wir gerade so etwas wie Fortnite als den großen Hype haben, dann hat das natürlich was damit zu tun, dass ich mich gegenüber anderen Spielern durchsetze und den hormonellen „Rausch“ habe, dass ich am Ende des Spiels der Beste von 100 Spielern bin.

Warum üben Spiele überhaupt so eine Faszination auf Jugendliche aus?

Games sind an sich etwas Faszinierendes. Sie unterscheiden sich von allen anderen Medien, alleine durch die Interaktivität, also durch die Rückkopplung. Wir nennen das Selbstwirksamkeit – ich drücke auf eine Taste, ich schieße meine Waffe ab oder schieße den Ball, und in diesem Medium passiert etwas, was ich beeinflusst habe. Das ist ein ganz starker Unterschied zu einem Film oder einem Buch. Kinder, Jugendliche oder auch Erwachsene haben diesen Wunsch nach Selbstwirksamkeitserfahrung. Jeder freut sich, wenn er etwas tut und dafür eine positive Rückmeldung bekommt. Alleine schon die Anlage dieses Mediums ist etwas, das sehr motivierend ist, es weiter zu nutzen. Dann treiben es Computerspiele natürlich in Bezug auf Interaktivität und die Rückmeldung auf die Spitze. So viele Selbstwirksamkeitserfahrungen, wie ich sie dort an einem Abend in einem Spiel mache, kriege ich in meinem realen Umfeld und meinem analogen Leben sonst nie. Das macht natürlich wieder hormonell etwas mit mir. Das belohnt mich und das gibt mir Glückshormone. Das ist so etwas, wo man eine gewisse Steuerung braucht und einschätzen können muss, was das Spiel gerade mit mir macht – regele ich das für mich oder gebe ich mich dem dann voll hin?

Sind Jugendliche mit speziellen Anlagen besonders anfällig dafür, in so einer Welt zu versinken?

Ich behaupte ja immer, dass wir es in unserer Gesellschaft mit einem besonders starken Paradigmenwechsel zu tun haben; dem Paradigmenwechsel der Belohnungskultur in eine Sanktionskultur. Wenn die Kinder klein oder in der Grundschule sind, dann werden sie eher gelobt für Dinge, die sie tun. Da geht es nicht so sehr darum, jemanden zu bestrafen, der die Leistung nicht bringt. Wir versuchen sie eher über das Loben von Bildern oder in Bezug auf das Fahrradfahren dazu zu bringen, das vielleicht noch besser oder weiter zu machen. In der Schule fängt es in der Grundschule an, dass es ein Sanktionssystem gibt, das über Noten stattfindet. Nicht die guten Noten sind das, was wertgeschätzt wird, sondern es passiert eigentlich nur etwas, wenn meine Noten schlecht sind. Die guten Noten sind eher die Norm. Die schlechten Schüler_innen können sitzen bleiben und bestraft werden. Wir haben da natürlich bei Schüler_innen ein Problem, die in dem System nicht gut zurechtkommen. Diese können von Computerspielen besonders gut getriggert werden, da sie dort dann in besonderem Maße gelobt werden. Die Spiele machen das in einem Stakkato-Rhythmus so gut, was mir meine Lehrerin oder Lehrer gar nicht zuteilwerden lassen kann. Wenn ich also in dem System sowieso Probleme hab, dann hab ich in Computerspielen perfekte Systeme, in denen ich einfach nur bestimmte Dinge erledigen muss, und dann werde ich gelobt. Das ist natürlich nicht so nachhaltig wie eine gute Note oder ein Lob von einem Menschen, den ich mag, aber der Effekt ist erstmal der gleiche.

Wieso hegen Eltern teilweise so eine Aversion gegen Computerspiele?

Auch das hat verschiedene Gründe. Es gibt sicherlich auch Eltern, die das gar nicht tun, sondern selber Spielerfahrung haben, mit dem Medium relativ selbstverständlich umgehen können und Videospiele als Familienmedium einsetzen. Ähnlich wie eine Fernsehsendung gemeinsam geguckt wird, wird dann gemeinsam gespielt. Aber ich glaube, es ist dieses Nicht-Einschätzen-Können und auch dass Computerspiele sich so drastisch verändert haben. Die eigene Spielerfahrung ist nicht das, was die Kinder heute an Spielerfahrung machen. Wenn ich selber auf einem Amiga, C64 oder PC gespielt habe, dann war man noch nicht online, wenn man damals gespielt hat. Meine Generation hat diese Erfahrung schon im umfangreicheren Maße um die Jahrtausendwende gemacht und vielleicht schon während des Studiums gespielt. Aber ich glaube, dass das eine Zeitfrage ist, bis man auch das ganz selbstverständlich hinnimmt und nicht glaubt, dass da etwas ist, das ich nicht verstehe und deswegen auch nicht regulieren kann.

Allgemeingültige Regeln für den Konsum von Videospielen sieht Köhring kritisch.

Gibt es Regeln, wie man Jugendlichen den richtigen Umgang mit Videospielen beibringt?

Da gibt es eine ganz klare Antwort drauf: Nein. Ich glaube wir sind davon weg, dass man sagen kann, wenn ich das so und so mache, dann wird das bei jedem Kind gleich funktionieren. Familien sind sehr unterschiedlich. Familienkonstellationen sind sehr unterschiedlich. Ich habe Kinder, die sind dafür viel weniger anfällig, weil sie einfach einen sehr getakteten Rhythmus haben und von klein auf beigebracht bekommen haben, dass es bestimmte Dinge gibt, die man zu bestimmten Zeiten tut. Andere kriegen das nicht beigebracht. Die sind dafür viel anfälliger, sich selbst zu regulieren, also eine Selbstregulation vorzunehmen. Es geht um diese Selbstregulation, Motive zu schaffen, zu hinterfragen, wieviel gut für mich ist, also ein gutes Selbstwertgefühl zu entwickeln oder in mich reinhorchen zu können. Es geht nicht nur um Medien dabei, sondern es ist etwas was grundsätzlich Menschen beigebracht werden sollte. Auf Dinge zu gucken und zu sehen, in welchem Maße das gut oder schädlich für mich ist. Ich glaube, das ist in einer Überflussgesellschaft, in der wir leben, sehr wichtig, in der Menschen sich sehr individuell und sehr Singular entwickeln, wo auch die Norm nicht mehr so da ist. Wenn keiner sagt, wie du leben musst, damit das richtig ist, ist da auch dieses Selbstwertgefühl und diese Selbstachtung etwas, was man Kindern neu vermitteln sollte, damit sie auch mit einem Medium umgehen können.

Bringen strikte Verbote etwas?

Das kommt immer drauf an. Verbote sind erstmal etwas Natürliches. Ich glaube, wenn man als Pädagoge sagen würde, dass man gar nicht mit Verboten arbeitet, dann wäre das gelogen. Wir erziehen kleine Kinder natürlich auch über Verbote. Verbote sollten immer mit Regeln ausgestattet werden. Natürlich kann ich sagen, dass du nur eine bestimmte Zeit lang spielen kannst, weil ich das für richtig erachte, dass du nur so lange spielst. Denn du musst deine anderen Sachen auch noch erledigen, beispielsweise dein Musikinstrument üben oder deine Hausaufgaben machen. Das Wort Verbote klingt immer so negativ, dabei sind Verbote letztlich etwas, was den Kindern den Rahmen vorgibt, in dem sie sich bewegen können oder den sie auch überschreiten können. Ich glaube, die totale Freiheit ist schwierig. Das muss man dann immer situativ sehen. Die Freiheit zu entscheiden, wie ich meine Freizeit verbringen will, sollte man seinen Kindern auf jeden Fall geben. Es ist nicht immer richtig, Kindern vorzuschreiben, mit was sie sich beschäftigen, weil sie sich dann auch nie für etwas anderes entscheiden können oder mal was machen, was ihre Eltern nicht gut finden oder nicht im Blick hatten. Insofern finde ich, dass Verbote durchaus ein Erziehungsmittel sind, was man vielleicht nicht überstrapazieren sollte.

Stellen gewalttätige Videospiele für Jugendliche eine Gefahr dar?

Ich glaube, wir müssten den Jugendschutz nicht machen, wenn wir nicht davon überzeugt wären, dass von Medien auch eine Wirkung ausgeht. Man sollte diese Wirkung jedoch auch nicht überschätzen. Wir gehen mittlerweile auch in der Forschung davon aus, dass es ein sogenanntes Faktorensystem gibt. Es gibt also unterschiedliche Faktoren, die in unterschiedlichem Maße wirken. Wenn ich beispielsweise selber Gewalterfahrungen gemacht habe, neige ich in viel höherem Maße dazu Gewalt anzuwenden, als wenn ich diese Gewalterfahrung nicht gemacht hätte. Wenn ich in einem sehr gewaltbereiten Umfeld aufwachse, bin ich sehr viel eher bereit Gewalt anzuwenden. Die kann auch in der Familie oder im Freundeskreis sein, oder die kann in meinem Stadtteil ein gängiges Mittel der Konfliktlösung sein. Dann können Computerspiele auch durchaus ihren Teil dazu beitragen, dass ich das auslebe und vielleicht auch in Ordnung finde. Also dass ich ein verstärkendes Motiv habe. Bei einem ganz normalen Jugendlichen, der seine Freunde hat und Gewalt nicht als Konfliktlösung in seiner Erziehung vermittelt bekommt, hat das eher eine untergeordnete Rolle. Da geht es dann tatsächlich eher um Empathie, um die Faszination, die vielleicht von Militär und Krieg ausgehen kann. Dass man da Räume schafft und Projektionsflächen bietet, wie man sich darüber auseinandersetzen kann. Dass Krieg vielleicht nicht cool ist. Dass Soldat sein nicht cool ist. Je jünger Jugendliche oder Kinder sind, desto schwerer fällt es ihnen natürlich, da ein Stückweit drüber zu reflektieren. Da brauchen sie dann auch wieder Verbote. Wenn sie älter werden, brauchen sie einfach Projektionsflächen in Erwachsenen, d.h. in der Jugendarbeit, in den Eltern, in der Schule. Irgendwo müssen sie mit diesen Bildern hin.

Spielplatz oder Computer?

Je älter die Kinder werden, desto eher dürfen sie das auswählen. Bei den kleinen würde ich sagen, viel mehr Spielplatz als Computer. Eine gesunde Mischung. Wenn die Kinder glücklich sind, wenn sie Sport machen und wenn sie Musik machen, dann durchaus auch Computer.

Für Kinder in jüngeren Jahren rät Köhring eher zum Spielplatz.

Warum sind Computerspiele vielleicht auch wichtig?

Computerspiele machen in erster Linie Spaß. Sie sind einfach ein guter Zeitvertreib, und man kann mit ihnen auch gut zusammen mit Freunden Spaß haben. Man kann auch Sachen lernen. Also gerade Eltern sollten wahrnehmen, was rund um Computerspiele passiert. Wieviel Fähigkeiten Jugendliche auch erwerben, wenn sie sich auch technisch mit diesen Dingen auseinandersetzen. Dort können durchaus Qualifikationen entstehen, aus denen sich Karrieren entwickeln. Ich kann beispielsweise auch selber davon reden, Computerspiele zum Beruf zu machen. Gamedesigner oder Gameprogrammierer zu werden sind sicherlich Dinge, die man auch in Zukunft bei Jugendlichen nicht ausschließen sollte. Da sollte man allerdings genau hingucken. Wenn beispielsweise jemand Profi-Let‘s-Player oder E-Sportler werden möchte, dann ist die Chance, dass da wirklich nachher Geld mit zu verdienen ist, gering. Man sollte zumindest einen Plan B in der Tasche haben.

Kann man sich auf die Alterskennzeichnung bei Spielen verlassen?

Da, wo Alterskennzeichnungen zu finden sind, ja. Dafür würde ich auch meine Hand ins Feuer legen. Ich kenne viele der Kollegen, die für die Vergabe von Alterskennzeichen bei Filme, Fernsehsendungen und Games zuständig sind. Mitarbeiter der Fachstelle für Jugendmedienkultur NRW Institution sind sowohl im Film- als auch im Computerspielbereich in der Alterskennzeichnung tätig. Wir stellen also Jugendschutzsachverständige, die diese Alterskennzeichen vergeben.

Wir haben ein Regulationsdefizit im Netz, wo es keine gesetzlichen Alterskennzeichnungen gesetzlich verbindlicher Art gibt. Dort gibt es bisher lediglich ein Ergänzungssystem namens IARC, bei dem sich die USK sich mit anderen internationalen Jugendschutzorganisationen zusammengeschlossen hat, und zum Beispiel im Google Play Store, ihrem größten Tätigkeitsfeld, die also für jedes Android-Phone und für jedes Android-Tablet Kennzeichen vergibt, die so ähnlich aussehen wie die gesetzlichen USK-Kennzeichen. Die sind jedoch nicht gesetzlich verbindlich und werden aufgrund eines Fragebogens, den der Hersteller ausfüllt, erstellt Das bedeutet allerdings aufgrund der hohen Expertise der USK auch, dass man sich auch dort auf die Kennzeichen verlassen kann. Es sitzen halt bloß nicht Experten zusammen und vergeben die Kennzeichen, sondern es wird stichprobenartig im Nachhinein überprüft, ob die Hersteller dort korrekte Angaben gemacht haben.

Wann ist ärztlicher Rat nötig, wenn ein Jugendlicher zu viel Zeit mit dem Computerspielen verbringt?

In den meisten Fällen sind es erst mal pädagogische Probleme, d.h. Eltern haben Bedenken, dass das von den Zeiten her nicht hinkommt. Das kann man im Normalfall regulieren, ganz einfach über Verbote, Regeln oder über gemeinsame Absprachen. Wenn die Kinder sich tatsächlich nur noch unter körperlichem Zwang von diesen Geräten trennen lassen, wenn eine permanente geistige Beschäftigung damit stattfindet, auch wenn ich gerade nicht spiele und wenn die Kinder andere Dinge vernachlässigen. Wenn also aus einem Gesamtpaket ein Leidensdruck entsteht, den die Kinder auch empfinden und selbst schon fast sagen, dass ihnen das alles zu viel ist, dann sollten Eltern tatsächlich zu Beratungsstellen gehen. Da gibt es verschiedene Anlaufstellen, und man kann uns beispielsweise ansprechen um die richtige Stelle zu finden. Man muss nicht sofort eine Klinik kontaktieren, was der letzte Weg ist, da kann man erstmal über eine Beratung, einen Psychologen oder einen Kindertherapeuten gehen. Der hilft einem schon weiter und schaut, was letztlich dahintersteckt, weshalb das Kind zwanghaft spielt. In der Regel gehen Fachleute davon aus, dass wie bei anderen Verhaltenssüchten die Probleme nicht in dem Spiel liegen, sondern dass die Probleme, die eigentlich da sind, durch das Spielen ein Stückweit überdeckt werden.

Pascal Hannig

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