Von den fast 45 Millionen Erwerbstätigen in Deutschland arbeiteten schon vor mehr als zwei Jahren rund 7,8 Millionen im Büro. Mehr als eine Handvoll dieser Menschen sind im Bennohaus tätig. Ein Artikel über die Gründe, alle Mitwirkenden dauerhaft ins Homeoffice zu schicken – und wie das organisiert wird.
Das Bennohaus ist ein sozialer Ort: Im Rahmen unserer Bildungsangebote kommen täglich junge und alte Menschen ins Haus. Unsere Räume können gemietet werden, allein unser Saal wird täglich für Veranstaltungen, Seminare oder Feste genutzt. Dahinter steckt ein Team, das aus über 30 hauptamtlichen Mitarbeiter*innen, Honorarkräften, Auszubildenden und Freiwilligen besteht.
Natürlich ist unsere Vereinsarbeit ohne das Bennohaus undenkbar. Trotzdem besteht für unsere Mitarbeiter*innen schon seit längerem die Option, punktuell in den eigenen vier Wänden (oder an einem anderen Ort ihrer Wahl) zu arbeiten. Viele Aufgaben, die hohe Konzentration ohne andauernde Unterbrechungen erfordern, sind eben im organisierten Bennohaus-Chaos nicht so schnell und fehlerfrei zu erledigen.
Ein dauerhaftes Homeoffice ist aber aufgrund der Natur unserer Arbeit unter normalen Umständen für die meisten unserer Mitarbeiter*innen nicht möglich. Zumal der übliche Bennohaus-Alltag eben auch grundlegende Vorgänge wie das dauerhafte Geöffnet-Sein und das dazugehörige Auf- und Abschließen umfasst. Durch die schrittweise Umstellung auf digitale Hilfsmittel fällt uns der technische und damit auch organisatorische Übergang in ein temporäres Homeoffice trotzdem nicht allzu schwer.
Vertrauen ist gut, Kontrolle ist gut
Grundlegende Voraussetzung für ein funktionierendes Homeoffice ist Vertrauen. Dem gegenüber stehen in den Diskussionen, die ich rund um die Etablierung von Homeoffice in den letzten Jahren verfolgt habe, die Angst vor Kontrollverlust und ein basales Misstrauen auf Seiten der Arbeitgeber*innen. Arbeit als eine eigenartige Form von Kulturgut wird dann in einem Akt der (unreflektierten?) Traditionswahrung mit bestimmten Eigenschaften assoziiert:
- 5 Tage, 9 to 5
- Vollzeit = 40 Stunden
- Pause = 30 Minuten
- Fester Arbeitsplatz
Diese tief in unseren Köpfen verankerte Sicht auf Arbeit legt eine starke Trennschärfe zwischen Arbeitszeit und Freizeit nahe, die nur über einen festen Arbeitsplatz und der potentiell dauerhaften Kontrolle der Vorgesetzten sichergestellt werden kann. Hinter diesem Denken verbirgt sich auch eine klare Unterstellung: Wer nicht kontrolliert wird, arbeitet nicht ordentlich.
Ob es nun über Jahre angelernte Rollenverständnisse über Führungskompetenzen, Autorität und Durchsetzungsvermögen sind, die das Vertrauen in das eigene Team unterminieren, oder der tatsächliche Glaube an einen rigiden Führungsstil – in beiden Fällen wird Vertrauen mit Kontrollverlust assoziiert. Dabei ist Kontrolle keine Einbahnstraße und mit Sicherheit nicht an körperliche Präsenz gebunden.
Was es braucht, sind akzeptierte Regeln, Termine und Kommunikationsmöglichkeiten, die von Arbeitgeber*innen und Arbeitnehmer*innen gleichermaßen wahrgenommen werden. Der Rest hängt vom Grad der individuellen Eigenverantwortung ab, die im Idealfall alle Mitarbeiter*innen (entwickelt) haben.
So organisieren wir unser Homeoffice
Wir beschlossen in unserem Verein in Absprache zwischen Vorstand und Team bereits am 12. März, das Bennohaus präventiv zu schließen. Dadurch blieb uns mit Freitag (dem Dreizehnten) ein ganzer Tag, um notwendige Vorbereitungen zu treffen. Hierzu gehörte auch das Absagen von Veranstaltungen, darunter – für uns besonders schmerzhaft – das Osterferienprogramm im Bennohaus.
Was uns Mut machte und gewisser Weise erleichterte, waren die am 12.03. und 13.03.2020 versandten Informationsschreiben des Sozial- und des Kulturamts, in denen u. a. Stadtteil- und Begegnungszentren zur präventiven Einstellung von Kultur- und Begegnungsangeboten aufgefordert wurden. Mit einer so gravierenden Entscheidung nicht allein gelassen zu werden, macht einen ganz erheblichen Unterschied. Richtig war sie außer Frage, denn Public Distancing und Homeoffice verlangsamen das Ausbreiten des Virus.
Mein wichtigstes Ziel bei der Planung des Homeoffices war und ist es, auch ohne körperliche Begegnung innerhalb des Bennohauses eine Struktur bereitzustellen. Struktur können wir im Team schaffen, indem wir
- Termine kommunizieren und durchführen;
- Arbeitsanweisungen mit Terminzielen festhalten;
- Ansprechmöglichkeiten im Sinne eines „offenen Büros“ bieten;
- Laufendes Feedback oder Feedback auf Resultate einfordern und geben;
- ein angstfreies Klima der Ehrlichkeit schaffen.
Das zweite Ziel ist eine aktive Aufgabengestaltung. Es ist erst einmal selbstverständlich, dass bei uns ohne das Gebäude Bennohaus einige Aufgaben einfach wegfallen. Unser Haustechniker muss weder Lampen austauschen, Alarmcodes ändern noch Künstler*innen anrufen; unsere Infothek kann gar nicht besetzt sein, weil körperlicher Kund*innenkontakt ausgeschlossen ist; unser Kulturmanagement muss keine Plakate herstellen, drucken und verteilen. Daher ist es wichtig, offen mit möglichem Leerlauf umzugehen und die verzweifelt klingende Frage „Was soll ich eigentlich machen?“ in den positiven Gedanken umzuwandeln: „Jetzt kann ich endlich Dinge machen, für die ich sonst keine Zeit habe!“
Zu diesem Zweck wurden den Mitarbeiter*innen Arbeitsanweisungen mit auf den Weg gegeben, in denen ich folgende Regeln festlegte:
- Das Bennohaus darf nur in begründeten Fällen betreten werden, persönliche Termine werden verschoben oder telefonisch durchgeführt
- Die Wochenarbeitsstunden bleiben erhalten, die Arbeitszeit kann flexibel gestaltet werden und wird weiterhin online dokumentiert
- Die Kommunikation läuft über etablierte digitale Kanäle
- Wer hierzu Technik benötigt, kann sich diese nach Absprache auch später noch ausleihen
- Aufgaben werden mit mir abgestimmt
- Vorgaben im Falle des Internetausfalls
Unser Vorteil ist, bereits im Vorfeld digitale Arbeitswerkzeuge eingeführt und etabliert zu haben – und fast noch wichtiger – dass das gesamte Team sehr medienaffin aufgestellt ist. Welche Tools (neben unseren E-Mail-Clients) nutzen wir nun also konkret?
Für die tägliche Kommunikation: Riot
Unserer IT sei Dank, die alles dafür tut, auf günstige, möglichst kostenfreie Open-Source-Software-Varianten zurückzugreifen, die ohne Abhängigkeit US-amerikanischer Großkonzerne daherkommen, nutzen wir seit Ende des letzten Jahres das Chat-Programm Riot.
Ähnlich wie Discord oder Slack können hier einzelne Chaträume für jeden Zweck geöffnet werden. Im Bennohaus nutzen wir Räume für verschiedene Verantwortungsbereiche, Teamgefüge oder Projekte. Natürlich sind auch Einzelchats möglich. Jede*r Mitarbeiter*in legt sich selbst einen Account an und kann Riot dann über den Browser, über Desktop-Apps auf allen gängigen Betriebssystemen oder auf dem Smartphone nutzen.
Bei all unseren Tools herrscht übrigens Klarnamenpflicht, i. d. R. nach dem „max_m“-Prinzip, also Vorname und Anfangsbuchstabe des Nachnamens. Auch wenn fast alle jüngeren Mitarbeiter*innen gerne mit Nicknames arbeiten, soll so durchgängige Transparenz vor allem für neue Mitarbeiter*innen geschaffen werden.
Für Besprechungen: Skype oder Discord
Für die Treffen mit hauptamtlichen Mitarbeiter*innen greifen wir im Moment auf den Klassiker Skype zurück. Zwar erfüllt es als Microsoft-Produkt nicht gerade all unsere Wunschkriterien (die IT wird uns bestimmt schon bald erfolgreich davon abbringen), ermöglicht aber das relativ problemlose Einbinden von Handynutzern in Besprechungen und das (bislang) vollkommen problemlose Screen-Sharing. Wir nutzen übrigens keinen Videochat, das Risiko ist einfach zu groß. (Vielleicht steigen wir bald auf Zoom um – oder besser doch nicht?).
Mit unseren Bundesfreiwilligendienstleistenden weichen wir stattdessen auf Discord aus. Der simple Grund: Viele hatten schon vorher einen Account. An dieser Stelle ist unser einziger Anspruch, einen funktionierenden Voice Chat in einer Umgebung zu schaffen, in der sich die Beteiligten wohlfühlen. Großer Vorteil außerdem: Einige BuFDis kannten sich schon gut aus, sodass die komplette Rechtvergabe, das Anlegen von Channeln oder sonstige Admin-Aufgaben direkt (und vermutlich gern) von ihnen selbst erledigt werden.
Fürs Aufgabenmanagement: Freedcamp
Für das Aufgabenmanagement unserer Projekte, Veranstaltungen und Verantwortungsbereiche nutzen wir schon seit längerer Zeit Freedcamp. Das Homeoffice bietet hier eine gute Gelegenheit, um liegengebliebene Aufgaben anzugehen und mal wieder grundlegend für Ordnung zu sorgen.
Für Termine und Arbeitszeiterfassung: Teamup
Wir nutzen Teamup zum einen zur Zeiterfassung bzw. als Anwesenheitsanzeige für Mitarbeiter*innen, zum anderen als Raumplaner für die Bennohaus-Räumlichkeiten. Da gerade keine Räumlichkeiten vermietet werden, tragen wir auf Anregung einer Mitarbeiterin im Raumplan nun unsere Homeoffice-Meetings ein, damit keine*r sie vergisst. Die Arbeitszeiterfassung bleibt wie bislang bestehen.
Für Arbeitsdokumente: Google Docs
Für die Bearbeitung nicht datenschutzrelevanter Aufgaben nutzen wir Google-Docs-Dokumente, z. B. zur Organisation der Ostviertel-Redaktion. Vorteil: Alle können in Besprechungen daran mitarbeiten oder zumindest mitlesen und es gibt keinerlei technischen Probleme.
Einführung von digitalen Werkzeugen
Was ich in den letzten Jahren gelernt habe: Die Einführung von solchen Werkzeugen benötigt Geduld. Manche Tools werden von jetzt auf gleich zum Standardrepertoire (z. B. Riot), andere sind selbst heute noch nicht Teil der selbstverständlichen Tagesnutzung geworden (z. B. Freedcamp). Wann, wenn denn nicht im Homeoffice, besteht die größte Chance, neue digitale Werkzeuge gemeinsam auszuprobieren und zu etablieren?
Vom Luxus des Homeoffices
Es ist selbstverständlich, dass das Konzept „Homeoffice“ nicht für alle Arbeitnehmer*innen (gut) funktioniert. Vielen hilft der feste Arbeitsplatz bei Arbeitsroutinen und um die notwendige Konzentration aufzubauen. Daher haben Arbeitnehmer*innen im Idealfall die Wahl, das für sie passende Arbeitsplatzkonzept zu wählen. Im Moment bleibt diese Wahl gezwungenermaßen auf der Strecke.
Dass wir überhaupt die Möglichkeit zum Homeoffice haben, ist aber ebenfalls keine Selbstverständlichkeit, sondern ein Luxus. Wir alle sind gesund und müssen unsere eigene Gesundheit und auch nicht die unserer Umgebung durch die Arbeit aufs Spiel setzen.
Natürlich wird das Bennohaus so wie alle anderen Einrichtungen der Kultur, der Bildung, des gemeinnützigen, bürgerschaftlichen und sozialen Engagements finanzielle Schäden davontragen. Das ist unvermeidbar. Ob diese Schäden durch Förderprogramme und Hilfsfonds ausgeglichen werden können, ist nicht sicher.
Wir können an dieser Situation nichts ändern. Was der Verein in seiner Funktion als Arbeitgeber tun kann, ist wenigstens im Rahmen seiner Möglichkeiten die Sicherheit aller Mitwirkenden und Besucher*innen sicherzustellen. Niemand muss ins Bennohaus kommen. Wer es doch tun möchte, kann dies nur nach vorheriger Ankündigung und mit meiner Erlaubnis tun.
Mitarbeiter*innen und Menschen um sie herum aus einem altertümlichen Gefühl des Kontrollverlusts heraus zu gefährden, indem man sie zur Arbeitsstelle ins Büro zwingt, um dort Arbeiten zu erledigen, die nach geringem organisatorischem Aufwand auch von zu Hause erledigt werden könnten, ist unverantwortlich.
Führung heißt nicht nur, Arbeitsanweisungen zu erteilen, sondern im Zweifelsfall immer zum Wohl des eigenen Teams zu entscheiden. Die finanziellen Probleme von Einrichtungen wie unserer lösen sich nicht durch die Büroanwesenheit von Mitarbeiter*innen auf. Auch wenn solche Aussagen selbstverständlich erscheinen, sind sie das, wenn ich auf Beispiele meiner unmittelbaren Umgebung schließe, leider nicht.
Ausnahmsweise lügt das Privatfernsehen nicht, wenn es in einem Ausdruck vollkommener Selbstlosigkeit unter dem Senderlogo #WirBleibenZuhause mit geballter Hashtaggewalt propagiert. Wer es sich leisten kann, sollte sich daran halten.
Auch bei uns läuft das Homeoffice mit Sicherheit nicht reibungslos: Lange Online-Konferenzen, der eingeschränkte Arbeitsraum, die plötzlich endliche Liste an abzuarbeitenden E-Mails. Trotzdem fühlt es sich besser an, als sich wider allen Empfehlungen, Anweisungen und den gesunden Menschenverstand jeden Tag zur Arbeitsstelle zu begeben.
Als gäbe es zu Hause nichts Wichtigeres:
Ja, lieber Jan, ich hatte mir natürlich auch schon Gedanken gemacht, wie das Bennohaus wohl in dieser ´verrücktenˋ Zeit mit all seinen unterschiedlichen Aufgaben und Funktionen und , nicht zu vergessen, mit den Beschäftigten gemanagt werden könnte.
Die aufgezeigten, differenzierten Lösungen haben mich beeindruckt. Glückwunsch für dieses durchdachte Konzept.
Man kann insofern davon ausgehen, dass du es im Zusammenspiel mit den engagierten Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen schaffen wirst, das Bennohaus wieder in gutes Fahrwasser zu bringen. Glück auf!
Lieber Helmut,
vielen Dank für deine aufbauenden Worte!