Ja, auch dieser Beitrag hat mit der Coronakrise zu tun. Ja, so langsam scheint es, als sei wirklich von jedem alles Passende und Unpassende zu Covid-19 gesagt worden. Ja, es gibt auch andere Themen. Aber wenn wir einen Blick wagen hinter die Gesundheitsdebatten (die wir unbedingt nach der Krise vernünftig führen müssen, Stichwort Verstaatlichung und gerechte Bezahlung) und all die scheinbaren und tatsächlichen Unannehmlichkeiten, so fällt ein politisch-psychologischer Effekt auf (der bisher eher beiläufig hingenommen denn tatsächlich analysiert wurde): In Krisenzeiten versammeln sich die Leute scharenweise hinter der Regierung. Warum?
Hypothese 1: Söder, Laschet und Co. machen tatsächlich einen guten Job
Unfassbare Zahlen kommen aus den jüngsten Umfragen, die die etablierten Institute regelmäßig erheben: Markus Söder, einst ungeliebt-schmieriger Provinzminister, ist der beliebteste Politiker Deutschlands. Jemals. 94 Prozent Zustimmung in seinem Heimatland Bayern scheinen ein klarer Indikator zu sein: Das ist einer, der die Probleme anpackt, der tatsächlich gute Politik macht. Doch wenn man hinter Glanz und Gloria der Medienpolitik schaut, sieht es dünn aus: Jahrzehntelang hat die Union, der Söder angehört, die Privatisierung des Gesundheitssystems vorangetrieben, Hilferufe von Pfleger*innen und Ärzt*innen ignoriert, scheinbare Sicherheitsdebatten, die nicht eines gewissen Rassismus’ entbehrten, über die tatsächliche Sicherheit und Gesundheit der Bevölkerung gestellt.
Markus Söder war stets ein Opportunist, wie er im Buche steht: Noch 2018 hat er einen AfD-light-Wahlkampf geführt – und krachend verloren, die in Bayern so heilige absolute Mehrheit eingebüßt. Seit diesem traumatischen Ereignis sind die Grünen sein Hauptgegner – entsprechend präsentiert sich Söder als Arten- und Klimaschützer, grüner Macher und Profiökologe. Sobald das nächste Thema – Corona – alles überschattet, wird der anfangs zögerliche und hämische Söder zum Krisenkönig – mit einem klaren Ziel: Kanzleramt 2021.
Was Markus Söder erfolgreich beherrscht, daran scheitert Amtskollege und inoffizieller Rivale Armin Laschet gnadenlos: Der gnomige Landesfürst aus dem Rheinland hat die Warnungen der Virolog*innen ignoriert, ist nicht eingeschritten, als die Karnevalshochburg NRW zur Virenschleuder wurde, hat zugelassen, dass der Kreis Heinsberg zum Symbol für Covid-19 wurde – und versucht jetzt bereits, eine ominöse Exit-Strategie durchzusetzen. Ähnlich wie Armin Laschet ergeht es auch der CDU-Bundesebene: Widersprüchliche Signale und gravierende Langzeitfehler, die das Gesundheitssystem an den Rand der Belastbarkeit gespart haben – nicht gerade exzellente Krisenbewältigung.
Hypothese 2: Aufmerksamkeitsökonomie und Bandwagon-Effekt
In einer Mediendemokratie wie der unseren wird Aufmerksamkeit zur begrenzten Ressource, zur Währung des politischen Wettbewerbs. Das Glück, im Mittelpunkt der Öffentlichkeit zu stehen, haben dann diejenigen, die im Rampenlicht stehen – egal ob aktiv oder passiv: Man denke allein an die (definitiv über das fachlich angemessene Maß hinausgehende) Glorifizierung der deutschen Chefvirologen Christian Drosten, Alexander Kekulé oder Lothar Wieler. Deutlich glücklicher über die ständige Medienpräsenz als die Vertreter*innen der Fachwelt dürften allerdings diejenigen sein, die sich stets öffentlichkeitswirksam Seit an Seit mit der Virologie als Krisenmanager inszenieren können. Die Berichterstattung ist natürlicherweise dieser Tage sehr fokussiert auf die Coronakrise, gleichzeitig aber der Politik gegenüber freundlich im Ton, Erfolge werden mitunter individuellen Personen angerechnet, während das Versagen des Gesundheitssystems ein ominöser Fehler vergangener Generationen ist.
Die durch die Medien kanalisierte Aufmerksamkeit münzt anschließend die Demoskopie um in den sogenannten “Bandwagon-Effekt”, ein psychologisches Phänomen, dass Wähler*innen gerne auf der Seite der politischen Gewinner*innen stehen: Die durch eindrucksvolle Bilder im Zusammenhang mit Corona als Macher präsentierte Regierung Merkel gewinnt in den politischen Meinungsumfragen, die wiederum selbst zum Medienereignis werden und den Aufschwung stetig befördern. Lag die Union zwischenzeitlich Kopf-an-Kopf mit den Grünen bei etwa 25 %, so ist sie jetzt zurück in verloren geglaubten Höhen nahe 40 %, und auch die SPD gewinnt (sofern gewinnen und SPD in einen Satz passen). Solche Umfragehypes sind allerdings in der Regel nicht von allzu großer Dauer (man erinnere sich nur an das Schicksal des Martin Schulz).
Hypothese 3: Rückkehr zur (konservativen) Normalität
Wenn wir das Jahr 2019 Revue passieren lassen, lässt sich die zweite Hypothese allerdings auch im umgekehrten Sinne anwenden: 2019, das Jahr, in dem die Klimakatastrophe (endlich) zu ihrer notwendigen Geltung kam, war auch das Jahr der “grünen Revolution”: Die Ökopartei, einst im gefährlichen Tanz mit um die 5-Prozent-Hürde, rappelte sich auf einmal auf, wurde nach dem souveränen zweiten Platz bei der Europawahl 2019 zum ernsthaften Gegenspieler der Union um das Kanzleramt 2021. Auch hier lässt sich der Erfolg (zumindest teilweise) auf Aufmerksamkeitsökonomie und Bandwagon-Effekt zurückführen: Die Grünen waren schon immer eine Wohlfühlpartei, man hatte das Gefühl, etwas Gutes zu tun, wenn man grün stimmt. Gleichzeitig assoziierten viele Menschen die aufstrebende Fridays-For-Future-Bewegung automatisch mit den Bündnisgrünen, der Erfolg färbte ab.
Historisch betrachtet ist die Bundesrepublik allerdings stets ein konservatives Land gewesen, 51 der 71 Jahre seit Staatsgründung hat hier die CDU regiert, und wenn die SPD zum Zuge kam, dann oftmals mit sehr knappen Wahlsiegen und einem sehr zentristischen Programm. Auch für die Umfragenerfolge für die Grünen in der Mitte der Legislaturperiode gibt es mehrfach Beispiele. Bereits in den 80er-Jahren waren die Grünen zu Zeiten des Waldsterbens, von Aufrüstung und Tschernobyl in den Umfragen deutlich stärker als bei den darauffolgenden Bundestagswahlen, und auch 2011 nach der Fukushima-Katastrophe erlebten die Grünen einen Höhenflug, der bis zur Wahl 2013 vollends verpufft war. Vielleicht wählen die Menschen tatsächlich gerne aus Gewohnheit die Union und tun das auch weiterhin, und 2019 war nur ein ungewöhnlicher Ausflug in den Umfragen, der die tatsächliche Realität im Land nicht abbildet.
Nach der nächsten Bundestagswahl werden wir sehen, ob sich die Union nach 16 Jahren immer noch im Kanzleramt halten kann, oder ob die Menschen bereit sind für eine linke Wende – es lohnt sich in jedem Fall, dafür aktiv zu werden!
Beitragsbild: Diego Delso, delso.photo, License CC-BY-SA
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