Deutschland scheint vor italienischen oder amerikanischen Zuständen bewahrt worden zu sein, wenn es um die Covid-19-Pandemie geht. Relativ wenige Todesfälle, keine Überlastung des Gesundheitswesens und keine Ausgangssperre: International wird Deutschland sogar als Vorbild für den Kampf gegen die Pandemie angeführt. Dennoch scheint sich mit dem Ausbleiben der Katastrophe auch ein neuer Vertrauensverlust, eine neue Wut breitzumachen. Was hat es mit “Widerstand2020” auf sich – und was ist daran so gefährlich?
Zu Beginn muss eines klargestellt werden: Dass Deutschland nicht von italienischen oder amerikanischen Verhältnissen betroffen ist, liegt exakt daran, dass die deutsche Regierung entschiedener (keinesfalls entschieden genug) als andere gehandelt, Großveranstaltungen verboten, Schulschließungen und ein Kontaktverbot nach Empfehlung der Wissenschaft umgesetzt hat, um so die exponentielle Verbreitung des Virus’ zu stoppen. Keinesfalls wurde hier überreagiert, um die Bevölkerung “systematisch zu unterdrücken”, wie einige behaupten, vielmehr wurde – nach einigem Drängen durch Expert*innen der Virologie – so gehandelt, dass der Schutz von Menschenleben oberste Staatsräson blieb; genau das besagt schließlich Artikel 1 des Grundgesetzes. Es wurde also gerade NICHT grundgesetzwidrig gehandelt, sondern stets verhältnismäßig und nach bestem Wissen und Gewissen. Sicherlich ist es dringend nötig, die getroffenen Maßnahmen nach der Krise zu evaluieren, um in Zukunft langfristig vor tödlichen Pandemien geschützt zu sein. Das heißt jedoch nicht, dass Unrecht geschehen ist, wie viele behaupten, seit Deutschland den “Peak” der Krise überstanden hat.
Dieser “Widerstand”, der sich gegen die Bundesregierung und ihre “Schlafschafe” richtet, die den “Maskenterror” befolgen, erinnert ein wenig an das letzte Mal, als die Bundesrepublik so wie ganz Europa gespalten wurde: Die sogenannte “Flüchtlingskrise” 2015/16, die maßgeblich zum Aufstieg von Pegida und AfD beigetragen hat. Dieses Mal sind es jedoch nicht Menschen, die vor Tod und Zerstörung fliehen, sondern ein globales Virus, das die Welt in Atem hält. Dass die Bewegung somit schutzbedürftige Menschen mit einer globalen Pandemie gleichsetzt, ist schon beunruhigend genug; im Kern geht es den Demonstrant*innen jedoch um etwas anderes: Es geht darum, sie persönlich über ihre Mitmenschen, ihre Umwelt zu stellen, und zwar um jeden Preis. Sie persönlich, das heißt in vielen Fällen, dass ihre Ideologie und Glaubenssätze bewahrt werden sollen, auch wenn sie noch so sinnentleert und gefährlich sind; daher ist es nicht verwunderlich, dass diese Bewegung maßgeblich von rechtsextremen Kräften initiiert und gesteuert wird. Das Problem ist jedoch, dass nicht die Nazis nicht unter ihresgleichen bleiben, sondern die verwirrende Situation nutzen, um neue Kräfte für sich zu rekrutieren: Willentlich stoßen Menschen hinzu, die mit der AfD bisher nicht viel anfangen konnten, wohl aber eine imaginierte Bedrohung vor dem Ungewissen fürchten und daher in die Arme der Rechten getrieben werden. Wer Adorno kennt, sieht hier, wie sich das bedrohliche Netz von Agitation und Propaganda immer weiter spannt, immer neuere Kreise erreicht, die sich bald nicht mehr nur auf Angst vor einer Diktatur 2.0. beschränken, sondern auch vor Chemtrails, Bill Gates und der jüdischen Weltverschwörung warnen.
Das Agitationspotential globaler Krisen ist in rechten und antisemitischen Kreisen seit langem bekannt: Schon im 14. Jahrhundert wurde der todbringende Ausbruch der Pest den Juden zugeschrieben, die die Brunnen vergiftet hätten, um so den vernichtenden Lauf der Dinge anzustoßen. Einmal rekrutiert, bleiben diese Menschen häufig bei ihren Glaubenssätzen, um sich nicht eingestehen zu müssen, dass ihre Auffassungen gefährlich und falsch waren. Etwas ist jedoch in dieser Krise anders als bisher: Die neue Anti-Bewegung scheint ideologisch deutlich vielfältiger zu sein, auch wenn rechte Narrative klar überwiegen: Neben Rechtsextremen finden durchaus auch Marktradikale, Öko-Esoteriker*innen und Linksradikale auf den Demonstrationen und Kundgebungen ein. Während es bei Marktradikalismus und Öko-Esoterik Überschneidungspotentiale mit rechtsaußen gibt (man erinnere sich nur an die Entstehungsgeschichte der ÖDP), scheint es durchaus verwunderlich, dass Menschen, die an Gleichheit, Freiheit und Zusammenhalt glauben, mit Rechten gemeinsame Sache machen. Gerade diese Querfront-Tendenz potenziert den sozialen Sprengstoff von “Widerstand2020” und sollte der linken Szene zu denken geben: Wie arbeiten wir Antisemitismus und Verschwörungsglauben in den eigenen Reihen auf? Sicherlich, man kann es sich einfach machen und diesen Menschen das “Linkssein” aberkennen, was durchaus begründet erscheint; dennoch sind und bleiben diese Menschen auch als Teil der Querfront Vertreter*innen des “linken Milieus”. Eine klare Distanzierung muss her, damit auch der große Kampf unserer Zeit, nämlich der Kampf für den ökologisch-demokratischen Sozialismus, nicht von Querfrontbestrebungen und Antisemit*innen verhunzt wird!
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Beitragsbild: PIRO4D, Pixabay.
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