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Eintreten für ein selbstbestimmtes (Liebes-)Leben

Den meisten Menschen ist das „Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung“ aus Funk und Fernsehen bekannt, wenn im Frühjahr gegen den sog. „1000-Kreuze-Marsch“ demonstriert wird. Dazu aber später Näheres. Worum geht es inhaltlich beim Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung Münster?

Für eine selbstbestimmte Sexualität

Die zentrale Forderung des Bündnisses ist:

Wir fordern, dass alle Menschen in Deutschland ohne Bevormundung und Diskriminierung über ihr Liebesleben und die eigene Familienplanung entscheiden können und bei der Wahrnehmung ihrer Rechte unterstützt werden sollen, unabhängig von ihrer Herkunft, sexuellen und geschlechtlichen Orientierung oder sozialen, ökonomischen und gesundheitlichen Situation.“

Das Bündnis hat sich 2017 gegründet, um für das Recht auf eine selbstbestimmte Sexualität und körperliche Selbstbestimmung aller Menschen einzutreten. Es besteht aus vielen gesellschaftlichen Gruppen wie politischen Parteien und ihre Jugendorganisationen, den Gewerkschaften DGB und GEW, feministischen und familienpolitischen Gruppen und Beratungsstellen, dem Alternativkino Cinema und weiteren Gruppen.

Sie setzen sich für eine Familienpolitik ein, „die die verschiedenen Formen, in denen Familien heute leben, anerkennt und alle gleichermaßen unterstützt“ und eine Sexualaufklärung, „die es allen ermöglicht, sich in sexueller Selbstbestimmtheit zu entwickeln“.

Dazu gehört auch die Sicherstellung, dass „alle sexuell aktiven Menschen Zugang zu bezahlbarer Verhütung haben“ und „den uneingeschränkten Zugang zu einem legalen Schwangerschaftsabbruch“ erhalten können. Daher setzt sich das Bündnis auch für die Streichung der §§ 218 bis 219b StGB zu Schwangerschaftsabbrüchen ein. Ebenso fordern sie aber auch, dass alle Menschen, die sich für ein Kind entscheiden, ausreichende „soziale und ökonomische staatliche Unterstützung und die notwendige Infrastruktur“ erhalten, damit sie „ihre eigene Lebensplanung aufrechterhalten können“.

Gegen den „1000-Kreuze-Marsch“

Auch in diesem Jahr wollte das Bündnis eigentlich gegen den Lebensschützer*innen-Marsch protestieren. Das fiel aber wegen der Corona-Pandemie aus. Aber in den beiden Jahren zuvor fanden Demonstrationen gegen den Marsch der Abtreibungsgegner*innen, der seit 2003 in Münster stattfindet, statt. Bis dahin waren Gegendemonstrationen eher aus dem antifaschistischen Spektrum organisiert worden.

Seit 2018 demonstriert das Bündnis gegen den „1000-Kreuze-Marsch“: Im Jahr 2019 kamen weit über 1.000 Menschen zur Demonstration und Kundgebung. Darüber hinaus begleiteten viele Demonstrant*innen den mit 120 Menschen schwachen „1000-Kreuze-Marsch“ (von 1000 Kreuzen für das (ungeborene) Leben kann also nicht die Rede sein) an der Route mit Trillerpfeifen und Sprechgesängen und aufgeblasenen Kondomen. Oft küssten sich auch Homosexuelle am Rande des Marsches.

Viele Demonstrationsteilnehmer*innen hatten Kleiderbügel zur Demonstration mitgebracht. Drahtkleiderbügel wurden früher, in Zeiten als Abtreibungen generell verboten waren, als Hilfsmittel für illegale Abtreibungen benutzt. Diese illegalen Abtreibungen fanden also unter medizinisch und hygienisch katastrophalen Bedingungen statt. Die 1000 Drahtkleiderbügel auf der Demonstration sollten also symbolisieren, dass bei einem erneuten Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen – wie es die 1000-Kreuze-Demonstrant*innen fordern – illegale Abtreibungen wieder unter katastrophalen medizinischen und hygienischen Verhältnissen durchgeführt würden.

Bilder 2019: Kundgebung und Demo gegen den 1000-Kreuze-Marsch (Bilder: Jonas Freienhofer)

 

Im Jahr 2019 schrieb das Bündnis im Aufruf zur Kundgebung und Demonstration:

Dieser sogenannte ‚1000-Kreuze-Marsch‘ vereint christlich-fundamentalistische Gruppen, Mitglieder der AfD und andere ultrakonservative Organisationen. Gemeinsam ist ihnen, dass sie Frauen das Recht absprechen über ihren Körper selbst zu bestimmen. Sie wollen einen Schwangerschaftsabbruch als unmoralisch oder sogar als Mord darstellen und fordern das totale Verbot und die Bestrafung von Betroffenen und Ärzt*innen. Hinter dem jährlichen Marsch steckt das Netzwerk ‚EuroProLife‘, das seit vielen Jahren in der ganzen Republik Frauenberatungsstellen und Ärzt*innen terrorisiert: Mit Einschüchterungen, Auflauern, juristischen Klagewellen und öffentlichem Bloßstellen wollen sie verhindern, dass ungewollt Schwangere die Möglichkeit bekommen, sich professionell über Schwangerschaftsabbrüche beraten zu lassen. Mit ihrem Marsch wollen sie Macht gegenüber den Betroffenen demonstrieren.“

Im Vorfeld zum Protest im Jahr 2019 gegen den „1000-Kreuze-Marsch“ hatten wir als Ostviertel-Redaktion im Bennohaus auch zweimal berichtet:

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Das Bündnis hat 2018 vom Gegenprotest ein kleines Video auf Facebook veröffentlicht und die Reden der damaligen Gegenkundgebung können bei „Münster Tube“ angehört werden.

Mit AfD, Identitärer Bewegung und rechten Burschen gegen Abtreibungen und Moderne

Und ja, die Bewegung ist sehr reaktionär: Sie schafft Bündnisse mit ganz Rechtsaußen. Der Humanistische Pressedienst beschrieb die Teilnehmer*innen des „1000-Kreuze-Marsches“ wie folgt: „Vor allem ältere Menschen, Männer und Frauen, bereits durch den Kleidungsstil erkennbar christlich-konservativ. Doch auch jüngere Menschen finden sich unter den TeilnehmerInnen des Marsches. Bei der jüngeren Generation dominieren allerdings deutlich die Männer. Hier fallen neben Geistlichen in konservativer katholischer Soutane vor allem junge Männer auf, die laut Szenekennern der Identitären Bewegung zuzurechnen sind.“

Der „1000-Kreuze-Marsch“ wird von dem Münchener Verein EuroProLife organisiert. Der Chef von EuroProLife, Wolfgang Hering, reist immer eigens für den christlich-fundamentalistischen Aufmarsch aus München an. EuroProLife ist aber nicht nur einfach gegen Abtreibungen. Das Frauen- und Familienbild, das der Verein vermittelt, ist recht simpel: Die Familie besteht aus Mann, Frau und Kindern. Eine andere Familienkonstellation ist abzulehnen, so EuroProLife. Die Frau soll dem alten Bild der drei „K“ entsprechen: „Kinder, Küche, Kirche“. Eine Selbstbestimmung der Frau lehnt der Verein ab: Eine arbeitende Mutter entspricht nicht dem Weltbild von EuroProLife. Eine schwule oder lesbische Partnerschaft, gar mit Kindern, ist ebenso Teufelswerk.

Da das Frauen- und Familienbild hervorragend in das Bild der extremen Rechten passt, nahmen 2018 nach Eigenaussage der AfD Münster „zahlreiche“ Mitglieder der AfD und deren Jugendorganisation JA teil. Alexander Leschik, damals Bundesvorstand der JA und Vorstandsmitglied der AfD Münster, brachte auch seinen Freund Marcel W. mit, der zumindest damals Mitglied der rechtsextremen „Identitären Bewegung“ war. Die extrem rechte Burschenschaft „Franconia“ durfte natürlich auch nicht fehlen.

So ordnet die Antifaschistische Linke Münster das Zusammentreffen der christlich-fundamentalistischen Abtreibungsgegner*innen mit der extremen Rechten auch so ein:

AfD, Burschenschaft und “Identitäre Bewegung” verbindet mit den Organisatoren des 1000-Kreuze-Marsches ein aggressiver Antifeminismus und reaktionäre Vorstellungen von Geschlecht, Sexualität und Familienleben. Sie würden die gesellschaftlichen Errungenschaften feministischer Kämpfe der letzten Jahrzehnte allesamt gerne wieder zurückdrehen.“

Von diesen rechtsextremen Kräften distanziere sich EuroProLife bisher nie.

Siehe auch: „Unheilige Allianz: Christliche Fundamentalisten und Rechte beim 1000-Kreuze-Marsch“ im Blog wiedertaeufer.ms.

Mensch mischt sich ein

Aber das Bündnis mischt sich auch an anderen Stellen ein:

So hat das Bündnis dieses Jahr einen Redebeitrag zur feministischen Demo zum Internationalen Frauentag am 8. März der Gruppe „Feministischer Streik Münster“ beigetragen und auch auf der alternativen 1. Mai-Kundgebung in der Stubengasse einen Redebeitrag (Facebook) gehalten.

Ebenso war das Bündnis auch auf der Unteilbar-Demonstration „#Sogehtsolidarisch“ am 14. Juni 2020 vom Hauptbahnhof bis zum Domplatz vertreten [1, 2]:

Zum Twitter-Beitrag: https://twitter.com/ProChoice_MS/status/1272240739662073857

Mehr Infos:

Jan Große Nobis

Jan ist Ureinwohner Münsters. In Münster geboren, ging er hier zur Schule, studierte Chemie, Geschichte und Soziologie und anderes und war in der juristischen Online-Redaktionswelt unterwegs – auch in Münster. In der Freizeit macht er antifaschistische Demo-Fotografie. Bei ostviertel.ms als Redakteur unterwegs.

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