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Erinnern in Münster – Völkermörder vor Krokuskulisse

Seit vor gut zwei Monaten George Floyd von einem weißen Polizisten brutal ermordet wurde, protestiert und diskutiert die Welt über rassistische Machtstrukturen und Polizeigewalt, gerade gegen BIPoC (Black, Indigenous and People of Color). Neben struktureller Probleme im Polizeiapparat wird jedoch, spätestens seit der fachgerechten Entsorgung der Edward-Colston-Statue in Bristol am 7. Juni, über historische Dimensionen rassistischer Dynamiken, Sklaverei und Kolonialismus diskutiert – ein geschichtliches Kapitel, aus dem sich Deutschland bisher eigentümlich gut freisprechen konnte. Überbleibsel verschiedener historischer Revisionismen lassen sich auch in der “Friedensstadt” Münster “bestaunen”.

Denkmäler konstituieren historische Ereignisse und “versteinern” sie in ein objektives Faktum. Gleichzeitig halten sie den ewigen Fluss der Geschichte an, setzen den Status quo der Verwitterung aus und glorifizieren so das Moment früherer Heldentaten. Die wenigsten Denkmäler sind jedoch solche im etymologischen Sinne, nämlich eine Anregung zur Reflexion (obwohl es solcherlei durchaus gibt, etwa die Paul-Wulf-Skulptur in Münster, die zugleich ein Kunstobjekt und ein Mahnmal ist); stattdessen versuchen sie die Historie aus dem Kontext zu reißen und werden so selbst historisch; kurzum: Denkmäler sind im Allgemeinen keine vernünftige Weise, Geschichte lebendig zu halten und zu erinnern. So weit die Theorie.

In Münster, wie in fast allen Städten Deutschlands und weltweit, kommt jedoch zu dieser unreflektierten Gesteinsverklotzung ein weiterer, deutlich bedenklicherer Aspekt hinzu: In der Regel entstanden Denkmäler als heroische Glorifizierung und Abstraktion sogenannter Heldentaten für Regimes, die aus heutiger Zeit als menschenverachtend bewertet werden müssen: Es wird in Münster Völkermorden, Angriffskriegen und “tapferer Soldaten zweier Weltkriege” gedacht – der feuchte Traum des Alexander Gauland ist hier bereits steinerne Realität. Münster hat diesbezüglich kein Alleinstellungsmerkmal, und doch als selbstbezeichnete “Friedensstadt” einen besonderen Auftrag zur Reflexion.

Exemplarisch lässt sich diese – misslungene – “Aufarbeitung” der Geschichte an der Diskussion über das Train-Denkmal am Ludgeriplatz aufzeigen. Der etwas abseits von Verkehrsströmen gelegene obeliskartige Klotz erinnert, so die Inschrift, an heimische Soldaten, die Heldentaten vollbrachten im Kampf gegen Aufstände in Deutsch-Südwest und der deutsch-chinesischen Kolonie: Gemeint sind die Auswüchse der Boxer-Rebellion (Chinas Urkatastrophe) und der Völkermord an den Herero und Nama in Namibia ab 1904.

Das Denkmal wurde in den 1920er-Jahren von Kolonial-“Romantikern” gestiftet und war somit teil eines deutsch-chauvinistischen Narrativs im Sinne eines Wiedererreichens alter Größe. Nach dem zweiten Weltkrieg und der Schwuppdiwupp-Entnazifizierung blieb das Denkmal so wie viele andere Artefakte der Ekligkeit in Münster unversehrt, bis ab der 80er-Jahren immer mal wieder eine Diskussion um das Denkmal entbrannte. 2011 schließlich beschloss der Stadtrat, eine “Ergänzungstafel” aufzustellen, die – unscheinbar abgelegen – daran erinnert, dass “auch der Herero” gedacht werden soll, die – scheinbar in ominösen Umständen – ums Leben gekommen sein sollen – das Wort Völkermord wird jedoch (auf Druck der CDU) bewusst vermieden, nicht, dass die Opferverbände noch auf die Idee kommen, irgendwelche Ansprüche geltend zu machen. Aktuell ist das Thema wieder einmal heiß umkämpft, jedoch geprägt von der üblichen Rhetorik, dass das Niederreißen von Denkmälern ja “Geschichtsklitterung” wäre.

Wohnen in der Mörderstraße

Auch in den Straßennamen schlägt sich Münsters Vergangenheit nieder: Von der Bismarckallee (Otto von Bismarck war verantwortlich für die Kongo-Konferenz als Höhepunkt des “Scramble for Africa”) über den Kaiser-Wilhelm-Ring (Kaiser Wilhelm II war verantwortlich für die Kolonialpolitik ab 1888, u.A. den Völkermord an den Herero und Nama), den Lüderitzweg (Adolf Lüderitz war verantwortlich für Erwerb und Ausbeutung der Kolonie Deutsch-Südwest (“Meilenschwindel”)) bis hin zur Dichtersiedlung, die u.A. glühende Unterstützer*innen des Nationalsozialismus ehrt (Heinrich Lersch, Agnes Miegel) – alles in allem dürften es mehrere hundert Straßennamen in Münster sein, deren Benennung aus rassistischen, militaristischen oder irredentistischen Zwecken erfolgte oder diese zumindest billigend in Kauf nahm (so wie auch weite Teile der münsteraner Straßennamen, die nach Städten benannt sind, in der Regel im Zuge der Nazizeit als Glorifizierung des großdeutschen Reiches zu ihrer Bezeichnung kamen).

Gerade bei Straßennamen hört für Viele der Spaß jedoch auf – nur weil der Namenspatron meiner Straße einmal was Schmieriges gesagt haben soll, muss ich jetzt zum Katasteramt rennen, um meine Adresse zu ändern, und überhaupt, damals war das halt so! Sehr richtig, damals war das so, und heute ist das aus gutem Grund – hoffentlich – nicht mehr so! Wenn es tatsächlich nur um Kosten und Aufwand für die betroffenen Anwohner*innen ginge, könnte ja gut eine Lösung gefunden werden: Die Stadt Bremen etwa bot vor einigen Jahren den anliegenden Haushalten einer fraglichen Straße an, die Kosten zu übernehmen – das Projekt scheiterte trotzdem an deren Widerstand.

Geschichte ist dialektisch

Zurück zum Vorwurf der Geschichtsklitterung: Eine Erinnerungskultur (welche auch immer das im Falle der deutschen Kolonialgeschichte bisher sein soll) verblasst in keiner Weise dadurch, dass glorifizierende Klötze aus dem Stadtbild entfernt werden. Niemand denkt sich beim Vorbeifahren “Ach stimmt, damals haben wir ja fast 100.000 Menschen in die Wüste getrieben und verdursten lassen, und den Rest in Konzentrationslager gesteckt, und die Überlebenden dazu gezwungen, die Köpfe der Toten auszuschaben und einzukochen, damit wir damit Rassenkunde betreiben können, und wir haben diese Schädel bis heute nicht zurückgegeben und in keiner Weise finanzielle Reparationsleistungen für unsere Verbechen erbracht.” Damit wird das Denkmal allerdings zum Dogwhistle für reaktionäre politische Kräfte, die insgeheim wünschen, dass sie eines Tages auch noch mal ihren Platz an der Sonne wahrnehmen dürfen.

Genauso verhält es sich auch mit Straßennamen – aus gewissen Gründen heißt die Bahnhofstraße auch nicht mehr Hitlerstraße. Wir müssen jedoch auch von Namen Abstand nehmen, die nicht unbedingt NS-Größen waren, aber trotzdem ihren Teil beigetragen haben zu systematischer Diskriminierung und Ausbeutung von Menschen, die nicht in ihr ideologisches Korsett passten. Und ja, damit ist ausdrücklich auch Immanuel Kant gemeint, der von seiner Königsberger Stube aus grundlegende Rassentheorien entwarf, ähnlich wie Hegel, Marx und deren rassistische und antisemitische Konsorten.

Von Hegel und Marx können wir dennoch eines lernen: Geschichte ist immer dialektisch, Systeme wechseln sich ab und tarieren sich aus – es ist daher vollkommen inkonsequent, sich als fortschrittliche, antirassistische Gesellschaft zu feiern und die gestrigen rassistischen Ikonen – auch wenn, oder gerade weil sie Männer und Frauen ihrer Zeit waren – im Katasteramt fortleben zu lassen. Wir müssen uns in unserer gesamtgesellschaftlich-antirassistischen Emanzipation mit den dunklen Seiten und Ansichten unserer “Helden der Aufklärung” befassen – Straßennamen, Ehrungen und Denkmäler sind dafür jedoch der völlig falsche Weg.

Paul Oppermann

Wenn durch das Blut genug Mate fließt, haut Paul gerne seine philosophische Sicht auf die Welt in die Tasten. Nebenbei arbeitet er an der Weltrevolution und geht, wenn Zeit bleibt, zur Schule.

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Grüße aus dem Flammenmeer

Ob Klimapolitik, Kapitalismus oder Kriegstreiberei – viel Stoff für die Kolumne von Philipp Schröder und Paul Oppermann. Über die Themen, die sie gerade bewegen, schreiben die beiden Schüler in dieser Kolumnenreihe auf ostviertel.ms