Deutschland ist rassistisch. Das ist die – völlig treffende – Essenz dreier außergewöhnlicher Werke Schwarzer Autorinnen. Das Grundproblem: Der deutsche Rassismusbegriff ist, anders als der englische (racism), ein Begriff der (scheinbaren) Vergangenheit und des rechten Randes – die Taten einzelner Nazis, aber ganz bestimmt nicht in unseren aufgeklärten Zirkeln zu finden. Bewusst verleugnet wird hier eine gesellschaftliche Struktur, die Rassismus den Nährboden bereitet und von einer breiten Masse getragen wird. Frei nach P. Watzlawick: Man kann nicht nicht-rassistisch sein, sich also nicht außerhalb des Systems Rassismus befinden, sondern partizipiert, egal ob gewollt oder ungewollt, an der Ausbeutung und Abwertung von Menschen. Die Motivation hinter der Partizipation am System Rassismus sagt nichts aus über ihre Qualität; eine Tat wird nicht rassistisch durch die Intention, eine solche zu sein.
Die drei Bücher von Noah Sow, Tupoka Ogette und Alice Hasters geben einen Einblick in die Untiefen des rassistischen Systems, die Unfähigkeit weißer Menschen, eine Critical Whiteness auszubilden, und die sich lieber in White Whine oder White Fragility flüchten. Gleichzeitig bieten sie Handlungsoptionen für rassismuskritisches Denken und Agieren.
Über alle drei Bücher ließen sich mehrere lobende Rezensionen schreiben (etwa die von Philipp Schröder über “Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten” von Alice Hasters), aber da die Bücher sich aufeinander beziehen und auf sich aufbauen, lohnt sich eine Lektüre aller drei Bücher, am Besten in der Reihenfolge des Erscheinungsjahres.
Noah Sow: Deutschland Schwarz-Weiß
Das ursprünglich 2008 erschienene Buch “Deutschland Schwarz-Weiß” von Noah Sow ist keinesfalls das erste afrodeutsche Gesamtwerk zum Thema systemischer Rassismus in Deutschland (Pionierarbeit leistete hier unter Anderem May Ayim), bietet aber dennoch einen gut fundierten, humorvollen, bissig-scharfen und klaren Überblick über den Status quo. Die gut 300 Seiten sind zwar keine leichte Kost (und deswegen vermutlich umso wichtiger – Adressat*innen sind schließlich primär weiße Deutsche, die vor dem Thema bisher bewusst die Augen verschließen wollten). 2018 wurde der Text grundlegend überarbeitet und erneuert, etwa neu hinzugekommene antimigrantische und rassistische Diskriminierungen und Übergriffe im Zuge der sogenannten “Flüchtlingskrise”.
Noah Sow: Deutschland Schwarz-Weiß. BoD, 2018. 344 Seiten, 12,95€
Tupoka Ogette: exit racism
Das 2016 erschienene Buch “exit racism” von Tupoka Ogette ist eine Art interaktive Verschriftlichung eines antirassistischen Trainings, welches Ogette in Ähnlicher Form bereits häufig an Universitäten und Lehrinstituten hielt. Inhaltlich bezieht sich Ogette zum Teil auf Sow, verknüpft diese Gedanken jedoch mit einem Training für Critical Whiteness, welches die Leser*innen immer wieder neu miteinbezieht. Besonders treffend ist Ogettes Framing eines “Happyland”, in dem sich weiße Menschen bis zu ihrer Bewusstwerdung ihrer rassistischen Sozialisation befinden.
Alice Hasters: Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten
In seiner Rezension beschrieb Philipp Schröder bereits die Aktualität des 2019 erschienenen Buches von Alice Hasters, die gerade im Zuge von #BlackLivesMatter zurecht große Aufmerksamkeit erhält. Hasters ordnet in ihrem Buch das System Rassismus in ihre privaten Zusammenhänge ein, das Buch ist gleichzeitig autobiografisch und analytisch eine Abarbeitung am System Rassismus in Deutschland, wie er von einer Schwarzen Deutschen aus Köln-Nippes erlebt wird. Sie bezieht sich dabei sowohl auf Sow als auch auf Ogette sowie weitere Schwarze Autor*innen.
Was nun?
Eine Critical Whiteness erfordert zunächst einmal ein Verständnis der Situation, zu der diese drei Bücher einen hervorragenden und extrem wichtigen Beitrag leisten. Dennoch kann nicht allein bei einer intellektuellen Auseinandersetzung Schluss sein. Die intrinsische Theorie der Konstruktion verschiedener “Rassen”, mit der Kinder von klein auf sozialisiert werden, wiegt im Alltag oft schwerer als ein moralisches Bekenntnis, “zu den Guten zu gehören”. Noah Sow stellt am Ende ihres Buches einige politische Forderungen für eine post-rassistische Gesellschaft auf: eine echte Auseinandersetzung mit deutscher Kolonialgeschichte etwa (Stichwort Maafa), echte Stellen für Gleichstellung und Antidiskriminierung, eine Verinnerlichung des Intersektionalitätsgedankens und vor Allem: Repräsentation Schwarzer Menschen in allen gesellschaftlichen Bereichen. Gleichzeitig ist es an jede*r/m Einzelnen, rassismuskritisch denken zu lernen und die rassistischen Institutionen zu hinterfragen und zu bekämpfen.
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