OSTVIERTEL.MS

Ich bin einfach besser mit Worten

A Meowy Christmas. Mit kleinen, dünnen Schnurharren um die krakeligen Worte geschwungen. Handgemacht ist „in“. Künstlich aufgehübscht und es wird dir vorgemacht, dass ich mir selber Arbeit gemacht habe, indem ich meine persönliche Handschrift verwendet habe. Dabei bin ich nur in den Laden gegangen und habe 4,99€ für eine vielleicht doch zu kitschige Karte ausgegeben. Würdest du das mögen? Auf jeden Fall wird es reichen, um dir ein kleines Lächeln abzugewinnen, bevor du die eigentliche Nachricht im inneren der Karte liest. Mit Worten bin ich besser als mit meinen Händen, weißt du? Ich würde gerne die Karte selber basteln können, aber mir bleibt nur in diese hier zu schreiben.

Weiter die vollgestopfte Straße entlang, kaum sehend was die verschiedenen Stände anbieten. Das meiste ist sowieso nur Essen, das kann ich dir schlecht zu Weihnachten schenken. Obwohl du dich wahrscheinlich sogar darüber freuen würdest. Ein Essenscoupon vielleicht? Warte… war das letztes Jahr schon das Geschenk? Mist, ich kann mich nicht erinnern. Warum kommt man eigentlich jedes Jahr in die gleiche Bedrängnis? Vielleicht weil ich immer erst drei Tage vor der Deadline losziehe. Dafür magst du meine Geschenke dann doch immer ganz gerne. Oder du bist gut im Schauspielern. Vermutlich beides. Ich bin am Ende der Straße angekommen ohne es zu merken. Also zurück in die Menschenmasse und durch die Wand von „‘tschuldigung, ich muss mal eben hier durch!“. Ich höre zum dritten Mal in einer Stunde „All I want for Christmas“ aus den riesigen Lautsprechen neben mir tönen. Langsam habe ich jede einzelne Silbe dieses Liedes verinnerlicht. Ist Weihnachten nicht die Zeit der Besinnung und der Ruhe? Was an diesem gesamten Szenario ist überhaupt irgendetwas davon? Rein in den nächsten Laden. Eine riesige Werbung schallert mir entgegen, was ich alles für mein perfektes Weihnachten brauche. Und natürlich schneit es bei dieser absolut glücklichen vierköpfigen Familie mit Hund. Hat eigentlich noch wer hier wirklich die Hoffnung auf ein weißes Weihnachten? Meine Güte, das alles ist so Klischee. Würde dir wohl ein übergroßer Teddybär mit Weihnachtsmütze gefallen? Oder lieber neue Handtücher? Aber natürlich mit einem Tannenbaum drauf, denn es ist ja Weihnachten! Das ergibt alles so wenig Sinn – was mache ich mit den Sachen für den Rest des Jahres?
Mist, wie viel Uhr ist es eigentlich? Ich muss noch zum Friseur, das wolltest du ja unbedingt. Ich soll schick aussehen für deine Mutter. Als ob sie mich nicht am nächsten Morgen halb verschlafen mit vollem Mund und leicht verkatert am Kühlschrank erwischen würde. Da sehe ich auch nicht schick aus. Schleunigst zum Friseur. Halb nass geschwitzt, weil alle Läden um die 30 Grad haben, während es draußen friert. Ist gut für den Kreislauf.

„Guten Tag! Wie ist Ihr Name?“
– Ich äh, sollte jetzt einen Termin haben?
„Gut nehmen Sie Platz, meine Kollegin ist gleich für sie da!“

Der Friseursalon ist vollgestopft mit genervten Kindern und verschwitzten Leuten, die von den genervten Kindern genervt sind. Ich falle also kaum auf.

„Wie soll ich es denn heute für Sie schneiden?“
– Etwas das schreit: Ich wurde schick gemacht, bitte frag mich, ob ich beim Friseur war, sodass ich ironisch antworten kann ‚nein nein, das ist nur meine neue Brille. Damit die Ankunft sich relativ schnell und lustig abspielen kann und ich nicht zum dritten Mal dieses Jahr nach meinem Job gefragt werde.
„Ja, das wollen heute viele!“

Mit einer Glatze verlasse ich den Salon.
Natürlich wurde ich im Salon, wie schon die letzten Wochen, darüber ausgefragt, ob ich denn schon alle Geschenke beisammen hätte und nach der kleinsten Bewegung meines Kopfes in horizontale Richtung wurde ich netter Weise darüber aufgeklärt wie sehr die Dame, die gerade mit einer scharfen Schere sehr ausdrucksstark neben meinem Ohr gestikulierte, doch Parfüm mag und dass sie wahrscheinlich jedes Parfüm, das man ihr schenken könnte, schon hat, sie es sich aber trotzdem wünscht, denn man könnte ja nie genug haben und im Übrigen verbraucht sie ja auch jeden Tag durchschnittlich eine halbe Flasche.
Das konnte ich nur leider in dem Friseursalon nicht riechen da dort anscheinend jeder das gleiche tat. Sollte ich dir also Parfüm kaufen? Oder Aftershave? Benutzt du das überhaupt? Eigentlich könntest du dir das auch gut selber kaufen. Du weißt besser, was gut an dir riecht als ich. Eigentlich könntest du dir das alles sehr gut selber kaufen. Warum schenken wir uns eigentlich Sachen? Warum habe ich beim jährlichen „Schatz, schenken wir uns eigentlich was zu Weihnachten?“ nicht einfach „Nein, tut mir Leid, ich habe wirklich keine Ahnung, was ich dir schenken soll“ geantwortet? Ich frage mich, ob du gerade die gleichen Probleme hast. Du schienst sehr erleichtert zu sein, dass ich heute ein paar Stunden alleine in die Stadt wollte. Wahrscheinlich sitzt du Zuhause mit einer riesigen Schere in der Hand und bastelst die schönste Weihnachtskarte, die ich jemals gesehen habe. Ich bin einfach besser mit Worten.

Als ich Zuhause ankomme, sitzt du im Pyjama am Esstisch und blätterst geistesabwesend in einem Katalog. Mit müden Augen blickst du zu mir hoch. „Wäre es okay, wenn wir uns dieses Jahr einfach nichts schenken? Mir fällt einfach wirklich nichts Gutes ein.“ Ich starre dich verwundert an. „Wenn du schon was hast, ist das natürlich auch okay!“, redest du aufgeregt weiter. Erschöpft setzte ich mich an den Tisch. „Ist schon gut, ich hatte zwar eine großartige Idee, aber dann schenke ich dir das eben nächstes Jahr.“, lüge ich. Du nickst und guckst mich noch ein letztes Mal prüfend an. „Hübsche Frisur übrigens, wird meiner Familie bestimmt gefallen.“

Jeremy Maier

Sich selbst in so wenigen Worten zu beschreiben ist schwer. Ich könnte so viel schreiben, die ganze Welt steht mir offen und dann merke ich, der Platz reicht nicht! Tja, da kann man nichts machen...

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