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Explosiver Exklusionshype

Alles zu Clubhouse

Was ist Clubhouse? Ein Überblick zur neuen Trend-App. ⮩

Vielleicht ist es nur ein Ausdruck der eigenen Quellenauslese, aber als die Download-Zahlen des Clubhouse Vereinsheims vor einigen Tagen in Apple-Deutschland durch die Decke gingen, überschlug sich mein Twitterfeed nur so vor Begeisterung: Da unterhält sich Christian Lindner mit Dunja Hayali und freut sich, mal eine andere Blase betreten zu haben. Da landen plötzlich einige Journalist*innen in einer Gesprächsrunde mit Anabel Schunke, upps, kann passieren, war keine Absicht, mit Rechten reden ist auch wichtig. Worum es ging in dem Gespräch? Keine Ahnung, ich war nicht dabei.

Robert Gernhardt schrieb: „Wer schreibt, bleibt – wer spricht, nicht!“ Was im Vereinsheim be- und gesprochen wird, wird in seiner Gesamtheit weder protokolliert noch dokumentiert, außer natürlich von den Betreiber*innen selbst – nur vorübergehend, haha, versteht sich.

Bodo Ramelow erlebt es gerade am eigenen Leib. Was genau er in welchem Kontext erzählt hat, ist schwer nachzuvollziehen. Zwei seiner Aussagen werden selektiert und möglichst öffentlichkeitswirksam breitgetreten. Es ist die unfreiwillige Leistung des Vereinsheims, den größten eingeborenen Vorteil seiner konkurrierenden Sozialnetzwerke bereits nach wenigen Tagen offenzulegen: Der schriftliche Austausch zwischen Politik, Zivilgesellschaft und Journalismus.

Einen Twitterthread oder eine Facebook-Diskussion kann ich später nachlesen, im Zweifelsfall auch auf Screenshots, falls jemand auf die absurde Idee kommen sollte, seine Tweets zu löschen und als Printbestseller unters Volk zu bringen. Beim Vereinsheim gilt stattdessen: Dabei sein oder Pech gehabt.

FOMO als Marketingmasche

Diese App ist programmiertes FOMO mit durchschlagendem Erfolg. Vom schmeichelnden „Oh, ich habe Einladung erhalten, dann schaue ich mir das mal an“ hin zum „Wenn ich da jetzt nicht reingehe, verpasse ich vielleicht was Wichtiges“ ist es ein kurzer Schritt. Ich spreche da aus Erfahrung, weil ich zu der Generation gehöre, die kurz vorm Teenager-Alter plötzlich unbegrenzten Zugang zum Internet erhielt und lernen musste, die nie endenden Diskussionen in Blogs und Foren auch mal in meiner Abwesenheit stattfinden zu lassen.

Lese ich nun von den Erfahrungen unserer Journalist*innen, Politiker*innen oder Influencer*innen im Vereinsheim, erscheinen vor meinen Augen zwölfjährige Teenies, die die Nikolausdisko in der Schulaula auf keinen Fall verpassen dürfen.

Überhaupt: Sprachnachrichten! Da wird mir erzählt, welch Wohltat es sei, mal ohne stressigen Videofeed in einer Konferenz auszukommen (schonmal das USB-Kabel der Webcam gezogen oder Pflaster gekauft?) oder sich einfach mal beim Spaziergang zeitlich begrenzt unterhalten zu können. Abgesehen davon, dass das (wie immer bei „Neuheiten“) schon lange möglich ist, wenn auch nicht so bequem, geht mir der ignorante Umgang mit Inklusionsfortschritten zuwider.

Exklusion als Feature

Rein akustische Inhalte erschweren die Teilhabe von Gehörlosen oder Schwerhörigen. Wer erstellt denn bitte Text-Transkripte von Vereinsheim-Inhalten, die ja im schlimmsten Fall auch noch unter schlechter Aufnahmequalität leiden? Das Medium Text ist eine gute Ausgangslage für inklusive Diskussionen und die Chance für breite Teilhabe, die im Vereinsheim auf dem Bierpongtisch der Convenience geopfert wird.

Natürlich, natürlich, sorry, ist klar. Einfach ins Smartphone labern ist so viel entspannter! Ich sehe dahinter vor allem eins: Egoismus. Sprachnachrichten in Messengern sind Zeitumverteilung zu meinen Ungunsten. Die Zeit, die du sparst, um deine Nachricht einzusprechen statt sie einzutippen, geht mir doppelt und dreifach flöten, weil ich deine Nachricht nun hören muss, anstatt sie viel schneller lesen zu können.

Noch viel schlimmer: Minutenlange Nachrichten, die das Auffinden von Informationen im Nachhinein um ein Vielfaches erschweren. Am Ende kostet es alle mehr Zeit (denn aus Wut antworte ich natürlich auch per Sprachnachricht), ich kann Tage, Wochen oder Monate später nicht mal eben was nachlesen und wenn ich die Nachricht unterwegs hören möchte, muss ich entweder Kopfhörer dabei haben oder meine Umwelt belästigen. Audio soll nun also eine angenehmere Alternative zu Texten in Sozialen Medien sein? Nein, danke.

Fortgesetzte Medienkompetenzsimulation

Dass das Vereinsheim so sehr unter Datenschutzproblemen leidet, dass der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI) über seinen Pressesprecher empfiehlt, “sich mit den Datenschutzrichtlinien [zu] beschäftigen und das Risiko ab[zu]wägen” ist eine Pointe für sich.

Bei Lehrer*innen pilotiert man die Einführung von Dienst-E-Mail-Adressen, Fragen der Datenstrategie unserer Bundesregierung werden fröhlich im Vereinsheim diskutiert: “Join us!”. Fehlt nur noch der Zwinkersmiley.

Unsere Elite aus Scheindatenschützer*innen, die gerne ihren Beitrag zur öffentlichen Medienkompetenzsimulation leistet durch das Verbreiten von Allgemeinplätzen wie „Facebook ist böse, weil die unkontrolliert Daten sammeln“ (was immerhin inhaltlich korrekt ist), nutzt hier die nächstbeste Gelegenheit, um auf den noch größeren Appmülltransporter aufzuspringen. Endstation: Datenschutzhölle. Bitte lassen Sie Ihre User Agency, Inklusionsgedanken und kritische Distanz an der Garderobe hängen, brauchen Sie eh nicht mehr.

Wer als Regierungsbeauftragte oder Bundestagsabgeordnete nicht von selbst mitbekommt, wie grundlegend falsch es ist, im geschlossenen Vereinsheim Sitzungen zu veranstalten, lebt in einer unreflektierten Konsum- und Produktionswelt. Ganz zu schweigen von Journalist*innen, die die Nutzung der App und gefährliche Harmonisierungstendenzen zwischen Politik und Medien begünstigen.

Meinungsbildung zum hohen Preis

Die Marktanteile des iPhones am deutschen Smartphone-Markt liegen seit Jahren “zwischen 12 und 20 Prozent”. Das Vereinsheim funktioniert ab iOS-Version 13.0. Um teilnehmen zu können, muss also ich zunächst die fragwürdige Entscheidung treffen, ein halbwegs modernes Apple-Produkt zu besitzen, anschließend eine Einladung erhalten und dann, wenn es mir gestattet ist, einfach nur zuhören oder auch mal mitreden.

Die Verbreitung einer solchen App durch eigene Teilnahme, schmeichelnde Worte und Mitmachaufforderungen indirekt oder direkt zu fördern, mag sich für einige der Beteiligten wie ein Beitrag zur Meinungsbildung, Meinungsvielfalt oder gar Meinungsfreiheit anfühlen. In Wirklichkeit ist es gar nichts davon.

Ich jedenfalls verbinde zum ersten Mal Hoffnungen mit dem Vereinssterben.

Titelbild: Austin Distel auf Unsplash

Jan Leye

Ehemaliger Chefredakteur.

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