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Tsakalidis: „Für humane Strukturen kämpfen“

Der Koalitionsvertrag ist nun druckreif. Die neue Koalition aus Grünen, SPD und VOLT hat schon ihre Arbeit aufgenommen. Der Wille der Koalition für eine fast autofreie Innenstadt hat hohe Wellen geschlagen. Die konservative Opposition schäumte. Wir haben uns Münsters Politik ins Studio geholt und die einzelnen demokratischen Akteur*innen zum Stand der Dinge befragt. Hier das Interview mit Georgios Tsakalidis, Einzelkämper im Stadtrat der Stadt Münster seit der Trennung von seiner ehemaligen Liste.

Das Interview hat Jan Große Nobis am 8. März 2021 mit Ratsherrn Georgios Tsakalidis geführt.

Jan Große Nobis: Hallo liebe Hörerinnen und Hörer! Heute sprechen wir mit Georgios Tsakalidis, dem Einzelkämpfer im Stadtrat. Er war mit der Münster-Liste zur Wahl angetreten. Diese Liste und Georgios Tsakalidis gehen aber nun getrennte Wege.

Der Koalitionsvertrag ist verabschiedet. Die neue Koalition aus Grünen, SPD und VOLT nimmt ihre Arbeit auf. Tsakalidis hatte schon kritisiert, dass Menschen mit Migrationsvorgeschichte nicht genug im Koalitionsvertrag vorkommen. Wir fragen nach, was Tsakalidis vom Koalitionsvertrag hält und wo die Kritik am Vertrag am größten ist.

Hallo Herr Tsakalidis. Sie haben kritisiert, dass die Integration von Menschen mit Migrationsvorgeschichte im Koalitionsvertrag zu kurz kommt. Was hat es damit auf sich?

Georgios Tsakalidis: Ja, hallo Jan Große Nobis! Ja, gerne. Also folgendes: Das Thema der gerechten Teilhabe von Migrantinnen und Migranten beziehungsweise die Umsetzung der Integrationsschwerpunkte ist mir ein bisschen zu schwach im Koalitionspapier. Es ist ganz, ganz grob. Und das finde ich schade, weil das Thema Migration ist ja eines der zentralsten Elemente.

Es stehen zum Beispiel gar keine Ziele drin. Welche Ziele in Sachen Migration und Integration hat die neue Koalition, die diesen Politikwechsel auch herbeiführen will? Da steht nix darüber! Wir haben als migrantische Gesellschaft – ob Integrationsrat oder Communities oder migrantische Selbstorganisationen… Wir brauchen echte Teilhabe. Da steht leider nix darüber.

Aber sie streben doch ein Stärkung der Migration an. Der Schutz von Geflüchteten, ein sicherer Hafen für Gerettete aus dem Mittelmeer und eine Patenschaft für ein Seenotrettungsboot sind ja im Koalitionsvertrag verankert. Integration von Geflüchteten in Gesellschaft und Arbeitsmarkt soll verstärkt werden, sagt die Koalition. Migrant*innen-Selbstorganisationen sollen mehr partizipieren, der Anteil bei den Beschäftigten im Öffentlichen Dienst soll dem Migrationsanteil in der Bevölkerung entsprechen. Also gerade ist dort ein Faktor schon drin. Was fehlt also konkret?

Die Themen zur Flucht sind Sachen, die schon in der letzten Wahlperiode erkämpft wurden. Erkämpft wurden mit Druck. Viele werden sich daran erinnern, wie schwer sich die Grünen und die CDU getan haben, dass wir zusätzlich Geflüchtete aufnehmen wollen. Ich glaube, ich muss wirklich nicht an diese skandalöse Herangehensweise der Grünen erinnern. Nummer eins.

Nummer zwei: Es gibt in dieser Aussage nichts Neues. Diese Aussage, insbesondere das letzte, ist sogar hinter dem, was wir in einem Papier von Migrant*innen-Selbstorganisation und Integrationsrat ausgearbeitet haben. Wir reden von einer konkreten Zahl. 20 Prozent der Menschen mit Migrationsvorgeschichte, das ist genau die Zahl, die wir als erstes Ziel vereinbart haben. Wir sind zurzeit, um ein kleines Beispiel zu nennen, bei der Stadt Münster [in der Verwaltung der Stadt] keine 2 Prozent Menschen mit Migrationsvorgeschichte. Und Sie können sich vorstellen, wo diese 90 Prozent dieser 2 Prozent sind – Abfallwirtschaftsbetriebe. Insofern ist es wirklich wichtig, hier Farbe zu bekennen. Klar zu sagen, was wir wollen. Diese 20 Prozent sind ein erstes Ziel. Dass man sagt: „Mensch, klar. Auf allen Ebenen der Verwaltung, Unterbau, Mittelbau und Abteilung und auch Dezernate“. Das ist unser Ziel. Eine offene, interkulturelle Gesellschaft muss sich quasi der Realität stellen. Wir haben in Münster über 70.000 Menschen mit Migrationsvorgeschichte.

Ja, aber wenn die Koalition den Anteil der Beschäftigten im Öffentlichen Dienst dem Migrationsanteil entsprechend der Bevölkerung einführen will, dann ist das doch die Realität sozusagen, aber natürlich auch harte Arbeit.

Richtig. Ganz harte Arbeit. Und vor allem auch bei der Umsetzung ist es halt leider nicht so wie bei den Frauen, wo man dann tatsächlich auf Grundlage eines Gesetzes entscheiden kann, bei gleicher Qualifikation nehmen wir einfach die Frauen. So eine Grundlage gibt es leider nicht bei Migrant*innen, dass man sagt, bei gleicher Qualifikation nehmen wir Menschen mit Migrationsvorgeschichte bis wir die 20-25 Prozent erreichen.

Daher ist der politische Wille hier das Wichtigste. Und der politische Wille ist auf diesem Papier ganz, ganz schwach. Und das kritisiere ich und wir als Migrant*innen-Selbstorganisationen et cetera. Ich sage Ihnen noch eine Zahl, die muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Wir haben über 100 MSOs, Migrant*innen-Selbstorganisationen, tolle Migrant*innen-Selbstorganisationen aus aller Herren und Damen Länder. A wie Afghanistan bis Z wie Zypern – die ganze Palette.

Was passiert? Sowohl durch die letzte Koalition als auch jetzt, so sieht es aus, haben wir eine Förderung für diese 100 MSOs von 1,015 Prozent. Das ist ein Skandal.

Und ich habe das im letzten Jahr kritisiert und natürlich werde ich das auch jetzt kritisieren. Das heißt, wir müssen das ernst nehmen. Wir können die Menschen nicht, auf gut Deutsch gesagt, verarschen. Es gibt tolle Migrant*innen-Selbstorganisationen, die müssen gerecht gefördert werden. Ich sage ja nicht, dass sie einfach nur weil sie Migrant*innen-Organisationen sind gefördert werden müssen. Nein, unter diesen 100 gibt es 20 professionell arbeitende Organisationen und es geht nicht an, dass alle die nur ein paar Krümel vom Kuchen bekommen vom Etat.

Zu dem Punkt steht im Koalitionsvertrag, meines Wissens nach, nichts drin. Also muss man gucken, was wirklich passiert.

Sie kämpfen gegen einen Rechtsdruck in der Gesellschaft. Inzwischen ist ein Mitglied der extrem rechten AfD im Integrationsrat vertreten. Sie haben im Vorfeld der Wahl der Integrationsvorstände bei diesen Menschen als Mitglied des Integrationsrats um Stimmen für Sie geworben – so heißt es. Wie passt das zusammen?

Wer hat um Stimmen geworben? Das habe ich nicht ganz verstanden.

Sie beim Mitglied des Integrationsrats, der auch bei der AfD ist.

Na ja, ich weiß nicht, wo Sie diese Informationen herhaben, aber …

Also ich habe ein Foto davon gesehen und ich habe Aussagen, dass damals bekannt war, dass er bei der AfD war und ist.

Also anhand dieses Fotos?! Leute, das ist seriöser Journalismus? Ich bitte euch! [Anmerkung d. A.: natürlich ist das Journalismus, wenn es fragliche Momente gibt, die geklärt werden müssen!] Also das Foto, damit das klar ist. Und was für Schandtaten mit diesem Foto gemacht wurden. Und übrigens von allen. Von der SPD über die Linken, die Grünen – ist witzig, wie man da zusammenkommt, wenn man einen Einzelkämpfer irgendwie in einem schlechten Licht darstellen will.

Dieses Bild ist entstanden bei den Ratswahlen. Prakash [gemeint ist Prakash Lohani, der Mitglied im Integrationsrat Münster ist und gleichzeitig Mitglied der AfD ist; d.A.] kenne ich seit 20 Jahren. Das ist ein Mensch, der auch in der AfD und schwachköpfig ist und ich habe oft mit ihm gesprochen, „dass du ein Idiot bist“, aber das sind Menschen. Und die Migranten sind genauso dumm oder klug wie die Einheimischen. Er ist dabei geblieben.

Er kam da und hat ein Selfie gemacht. Ich habe gesagt, „dass ist nur für dich privat“. Natürlich hat er es auf Facebook gepostet. Und daraus ist so eine lächerliche Kampagne entstanden, es ist unfassbar. Ich bin der Einzige von allen, der von Anfang bis Ende – ich habe sogar noch zwei Tage vor den Wahlen des Integrationsrats, wo ich noch als Vorsitzender kandidiert habe, da habe ich gesagt, keine Kooperation mit Schwachköpfen, mit AfDlern, mit Faschistoiden und mit Leuten, die ausgrenzen.

Also, damals gab es keine Kooperation?

Natürlich nicht. Niemals. Und noch was, das ist mir wichtig: Die Sache hat mir den Integrationsratsvorsitz gekostet. Dass ich das durchgezogen habe bis zum Ende, keine Kooperation, keine Zusammenarbeit. Jeder, der mich kennt, weiß das.

Es wird ein Mitte-links-Bündnis regieren. Sie haben also eine gewissen politische Nähe zur Koalition. Wie wird Ihre Oppositionsarbeit aussehen?

Nun, das ist einen gute Frage. Ich hoffe, dass diese Koalition endlich versteht. Nummer eins: Es gibt in diesem Rat eine größere Mehrheit als die Ein-Mandatmehrheit.

Es sind mindestens vier bis fünf mögliche Mandate, die diesen politischen Wechsel unterstützen. Das ist meine oppositionelle beziehungsweise meine Rolle in diesem Rat. Solange diese Koalition diesen Politikwechsel herbeiführen will, werden sie meine Stimme haben und werden sie meine Energie und meinen Einsatz haben.

Ich sehe aber, dass dem nicht ganz so ist. Ich merke… Das ist natürlich das Klassische: Die Möchtegern-Strategen, insbesondere mein Freund Christoph Kattentidt, glaubt, dass man so mit einer Koalition durchregieren kann. Das geht nicht.

Und was ich auch sehr scharf kritisiere, ist, dass in Unterausschüssen, in Ausschüssen und Unterausschüssen noch eine Kooperation von CDU und Grünen gibt. Und das ist die Handschrift von Christoph Kattentidt. Im Integrationsrat wohlgemerkt wurden Leute in den Vorstand gewählt mit Stimmen – ja jetzt staunen wir – von Grüne, CDU, AfD … dieser AfDler hat zusammen gestimmt, nicht ich. Man muss die Wahrheit kennen.

Haben die geworben bei dem?

Ja, na klar! Die haben mitgestimmt.

Nein, haben die bei ihm um die Stimmen geworben oder hat der einfach so mitgestimmt? Das ist noch ein Unterschied.

Ja, ja, aber wenn sie mitstimmen. Ich weiß nicht, ob es Gespräche gab oder nicht. Für mich zählt das Ergebnis. Und alle wussten, dass dieser Typ AfD ist. Da konnte keiner mehr sagen, „oh das wussten wir nicht“. CDU, Grüne…

Also es geht weiter: Ich möchte tatsächlich einen Politikwechsel für die Menschen von unten, für die Mehrheitsgesellschaft, für die Menschen, die nicht auf der Sonnenseite dieses Lebens geboren worden sind, für die Menschen, die im ALG-II-Bezug sind. Ich will dafür kämpfen, dass hier humane Strukturen einkehren.

Wir haben die Möglichkeit mit dieser Mehrheitskoalition das zu schaffen. Wir hatten eine viel breitere Mehrheit als Christoph Kattentidt sie hergestellt hat. Ich bin mir sicher, sowohl Lars [Lars Nowak, Die Partei; d.A.] als auch Franz [Franz Pohlmann, ÖDP; d.A.], die Menschen mit denen ich in einer Interfraktion bin, also von ÖDP und Die Partei, sehen das genauso [nach Informationen der Ostviertel-Redaktion gibt es keine Ratsgruppe von Die Partei/ÖDP mit Herrn Tsakalidis]. Das heißt, es wären zusätzlich schon mal drei Mandate dazu. Nur, da muss man, Butter bei die Fische, da muss man tatsächlich den Politikwechsel wollen und ihn auch umsetzen.

Also wird dann noch bei Koalitionsvorlagen, wo es kritisch wird für Ihre Stimme, etwas reinverhandelt in den Beschluss, oder…?

Ich bin offen, ich bin offen… Ich bin transparent und klar und sage wofür ich stehe. Und ich stehe wirklich für einen richtigen, echten Politikwechsel, den diese Stadt nach 30 Jahren schwarz-grüner/schwarz-gelber Regierung einfach braucht. Nur da muss man auch wirklich klar Ecken und Kanten zeigen.

Ich sage immer einfach als Beispiel, wo ich nicht zustimmen werde. Der Preußen-Park. Ich finde das ist ein Skandal. Das was dort gemacht wird, ist die Umsetzung des faulen Kompromisses in der letzten Periode zwischen Grünen und SPD und CDU.

Kann es sein, dass wir 40 bis 105 Millionen verplanen? Was ist das für eine Planung überhaupt? Diese ist das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben ist. Wir brauchen dort eine smarte Lösung. Kein Stadion vom letzten Jahrhundert mit 20.000, 25.000. Wir brauchen eine smarte Lösung, ein kleines Stadion, Maximum 9 bis 10.000 Zuschauer. Ein Stadion, das nachhaltig gebaut wird, wo jedes einzelne Element wieder abgebaut werden kann. Und viel mehr Platz, damit ein Stadtviertel wie Bergfidel endlich modernisiert wird im Rahmen dieses Schubes, damit es an den ÖPNV direkt angekoppelt wird. Das soll ein Stadion sein, nicht mit einem zusätzlichen Parkplatz, sondern ein Stadion, das mit Fahrrad und zu Fuß und mit ÖPNV erreichbar ist.

Soll das nicht kommen? Es sollen doch sogar Bahnhaltepunkte kommen.

Bahnhaltepunkte, genau! Das ist in der Diskussion, das ist natürlich nicht sicher. Ich kämpfe dafür, natürlich Bahnhaltepunkte, ÖPNV, Fuß- und Radverkehrsausbau. Aber dieser faule Kompromiss, dieses Stadion aus dem letzten Jahrhundert zu renovieren, das ist einfach schwachsinnig. Es gibt kein anderes Wort, das mir einfällt.

Also es gibt Zusammenarbeit, wenn es passt, und wenn es nicht passt, gibt es radikale linke Opposition von Ihnen?

Genau! Und nicht wenn es passt, sondern wenn tatsächlich der Wechsel in die richtige Richtung geht. Also rational, logisch. Es ist noch nicht mal so, dass ich von irgendwelchen revolutionären Projekten spreche. Ich spreche von einfachen, rationalen Dingen, die wir als Gesellschaft brauchen. Es kann doch nicht sein, dass der Oberbürgermeister sagt oder Herr Weber von der Fraktion der CDU, ja, die Preußen haben es verdient – was ist das für eine politische Aussage? Ich finde das ist ein Skandal, wirklich. Bei aller Liebe zu meinem Freund Christoph Strässer, so geht das nicht. Wir brauchen eine ganz smarte Lösung dort. Ein kleines Stadion, so klein wie möglich. Wir reden von einer Mannschaft, die in der 4. Liga rumdümpelt. Wenn sie irgendwann in der 2. sein sollten, das dauert mindestens zwei Jahrzehnte, so wie ich das sehe.

Das Preußen-Stadion steht also sehr auf der Agenda bei Ihnen.

Ja, auf jeden Fall.

Opposition wo es nötig ist, Mitarbeit wo es vielleicht dann passt?

Genau, wo es passt. Und für die vielen Menschen, die eben nicht in dieser verdammten Gesellschaft, die Möglichkeiten, die Rechte haben und die, die immer unter Druck sind – das ist mir wichtig!

Gut, alles klar. Danke für das Gespräch.

Gerne.

Jan Große Nobis

Jan ist Ureinwohner Münsters. In Münster geboren, ging er hier zur Schule, studierte Chemie, Geschichte und Soziologie und anderes und war in der juristischen Online-Redaktionswelt unterwegs – auch in Münster. In der Freizeit macht er antifaschistische Demo-Fotografie. Bei ostviertel.ms als Redakteur unterwegs.

Ein Kommentar

  • Meine Antwort zu
    Tsakalidis,
    Du hast die Politiker in Münster angelogen
    und auch die Menschen mit Migrationshintergrund. Hier im Radio hast du auch noch eine weitere Lüge verbreitet und zwar ich habe dich gewählt und am nächsten Tag, wo die Wahlergebnisse für die Stadtratswahl
    veröffentlicht wurden, hast du dich persönlich bei mir für die
    Unterstützung bedankt. Wir beide haben ein Foto gemacht und ich habe
    dich informiert, dass ich das Foto auf Facebook poste und du hattest
    keine Einwände. Aber im Radio tust du so, als wäre dies hinter deinem
    Rücken passiert.

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