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Historisches Rathaus, Giebel

Autoarme Innenstadt ja, aber die Reihenfolge macht’s?

Ein Kommentar von Jan Große Nobis.

Wir haben in dieser Woche Interviews mit (fast) allen demokratischen Parteien veröffentlicht, in denen wir gefragt haben, was sie von der neuen Koalition und deren Koalitionsvertrag halten. Es wundert nicht: Die Koalition ist zufrieden, obwohl es ja zwischendurch schwer im Gebälk gekracht hat – der SPD war zwischenzeitlich gar der Fraktionsvorsitzende Kersting abhandengekommen. Und von Seiten der Opposition, gab es Kritik – soweit erst einmal nicht ungewöhnlich.

Aber: Die Opposition ist „gespalten“. Die FDP macht sich Sorgen, dass erst die Verbote und dann die Alternativen in Punkto autoarmer Innenstadt kommen. Derweil geht es der Opposition von Links gegenüber dem Mitte-Links-Bündnis nicht schnell genug in Punkto sozialer Gerechtigkeit und autofreier Innenstadt.

Die Union stand leider nicht zu einem Interview zur Verfügung.

Der Streit um die iPads für Münsters Schüler*innen

Dieser Streit mutet sich schon merkwürdig an. Die Koalition ist arg vorsichtig. Sie verspricht immer nur digitale Endgeräte für alle Münsteraner Schüler*innen zum Ende der Legislaturperiode. Dabei haben nach meiner Berechnung (fast) alle Schüler*innen aller weiterführender Schulen, außer der Berufsschulen, mit dem jüngsten Beschluss im Schulausschuss ein iPad-Versprechen bekommen. Nur die Grundschüler*innen bekommen rechnerisch einen Klassensatz pro zwei Klassen. Ebenso die Realschüler*innen und Gymnasiast*innen bis einschließlich Klasse 7. Das reicht aus didaktischer Sicht auch für einen didaktisch guten Digitalunterricht aus (im möglichen neuen Lockdown müsste es dann für oben genannte Schüler*innen Wechsel- oder Hybrid-Unterricht geben).

Nur die Berufsschulen sind da außen vor. Da nimmt aber die FDP die Koalition in Schutz. Denn: „Die haben schon vor Jahren beschlossen, dass sie an diesem Medienentwicklungsplan der Schulen nicht teilhaben wollen, sondern einen eigenen haben wollen, deswegen müssen sie anders behandelt werden“. So zitiert FDP-Fraktionsvorsitzender Jörg Berens seine Ratskolleg*innen von den Grünen.

Aber: Dieser eigene Medienentwicklungsplan für die Berufsschulen müsste natürlich – gerade in Hinblick auf die herrschende Pandemie – schnell in Angriff genommen werden! Dazu sagt leider konkret niemand etwas, obwohl ja der nächste Lockdown schon im Anmarsch ist!

Wohnungsmangel tut Not!

Es ist Konsens, dass in Münster Wohnraum an sich fehlt. Vor allem billiger Wohnraum fehlt. Das Pestel-Institut hatte schon 2019 prognostiziert: „Der Trend gehe zu Single-Haushalten, es bräuchte daher mehr Single-Wohnungen z.B. auch für Senior*innen. Aber auch hoher Bedarf an barrierefreien Wohnungen oder Wohnungen für einkommensschwache Menschen sei gegeben.“ Insofern ist es nur konsequent, den Wohnungsbau in Münster zu forcieren.

Der aktuelle Streit geht in Münster aber um das „Wie“. FDP-Fraktionschef Berens kritisiert, dass die Koalition sage: „Wir brauchen keine Einfamilienhäuser, sondern mehr Mehrfamilienhäuser und dergleichen“. Er sieht damit das Einfamilienhaus diskriminiert.

Er hat zwar Recht, dass, wenn eine junge Familie in ein neues Eigenheim zieht, dann eine billigere Wohnung frei werde und dies auch dem Wohnungsmarkt helfe, aber wieso nicht einmal den Schwerpunkt auf Mehrfamilienhäuser mit vor allem billigem und kleinerem Wohnraum setzen? Grünen-Sprecherin Rietenberg sagt, dass „die Einfamilienhaus-Quote in Münster bei über 60 Prozent liegt“. Diese Quote sei unverhältnismäßig hoch gegenüber anderen Städten. Das Einfamilienhaus wurde also in Münster bisher viel zu hoch priorisiert.

Autoarme Innenstadt: Die Reihenfolge macht es?

Es wird viel über die Reihenfolge der Maßnahmen für eine autoarme Innenstadt unter den Parteien gestritten. Denn: Das „Ob“ steht gar nicht mehr unter den demokratischen Parteien zur Diskussion. Angesichts der Notwendigkeit des Kampfes gegen den Klimawandel ist dies ja auch kein Wunder!

Die Koalition will ja im ersten Schritt richtigerweise den Domplatz mit Pferdegasse und die Königsstraße autoarm gestalten (Domplatz mit Pferdegasse wollte schon die rot-grüne Mehrheit umgestalten, als sie unter Oberbürgermeisterin Marion Tüns von 1994 bis 1999 Münster regierte. Scheiterte aber am eigenen Mumm, ob des Widerstandes dagegen aus konservativer Opposition und Kaufmannschaft) . Da fehlen der FDP schon die Alternativen, die zuerst kommen müssten. Schließlich falle dann schon das erste Parkhaus weg. Das sollten aber die anderen Parkhäuser auffangen können. Denn auch eine autoarme Königsstraße würde das Einkaufsfeeling in der Innenstadt schon erheblich verbessern, wenn da nicht mehr samstags in der ganzen Königsstraße ein permanenter Stau ist.

Aber am Ende hat ja Jörg Berens Recht: Es müssen im Weiteren erst die Alternativen zum Autoverkehr geschaffen, dann die Autos aus der Innenstadt verbannt werden. Aber so oft Jörg Berens es auch wiederholt: Das ist ja gerade das Vorhaben der Koalition! Also eigentlich herrscht da ja Einigkeit, nur vielleicht nicht bei jedem einzelnen Projekt.

Ich könnte ja auch mit einer sofortigen autoarmen Innenstadt leben. Aber die Koalition muss natürlich die Bürger*innen – insbesondere die autofahrenden Bürger*innen – auf dem Weg zur autoarmen Innenstadt mitnehmen!

Werden wir also in Zukunft sehen, ob die Koalition das schafft? Daran wird sie schon gemessen werden!

Zu Bedenken gibt es aber auch: Ohne die viel gescholtenen „Verbote“ geht es natürlich nicht!

Ich bin ja ehemaliger (seitdem mein Auto durchgerostet ist) Autofahrer und weiß es nur zu gut: Es wäre verantwortungsvoller gewesen, aus dem Südviertel mal eben mit dem Fahrrad in die Stadt zu fahren, aber die Faulheit hat mich oft übermannt! Und ich bin mit meinem Auto mal schnell ins Parkhaus Stubengasse oder Parkhaus an der Königsstraße gefahren, um kurz einzukaufen.

Deshalb geht mir auch dieses neoliberale Geschrei danach, erst Alternativen schaffen, dann wird der Markt das schon regeln, schon auf den Wecker! Klar muss es Alternativen geben! Aber dann müssen auch die Verbote kommen! Sonst wird es nichts mit der autoarmen Innenstadt!

Koalition mit Opposition von beiden Seiten

Die Koalition selbst hat nur eine Stimme Mehrheit. Das sieht zunächst nach einem riskanten Spiel aus. Aber die linke Opposition aus Linken, Tsakalidis und Die Partei/ÖDP will die neue Koalition aus Grünen, SPD und VOLT kritisch-solidarisch begleiten. Da wird es also doch ab und an mal eine Zusammenarbeit geben. Auch die FDP scheint an einer kritischen Begleitung der Koalition interessiert. Das relativiert die Gefahr eines Auseinanderbrechens der Koalition, weil eine*r mal ausschert, ungemein.

Nur die CDU ist wohl weiterhin auf Fundamentalopposition gebürstet: So zitieren die Westfälischen Nachrichten CDU-Fraktionschef Stefan Weber auch wieder mit Spaltungsvorwürfen gegenüber der neuen Koalition („Lange war nicht so viel Spaltung in der Stadt“). Als wäre eine autoarme Innenstadt nicht von den meisten Bürger*innen gewünscht und wäre nicht auch Programm der Union. Die neue Mitte-Links-Koalition in die Ecke von Antidemokrat*innen zu stellen („Linksaußenmanier“, ebda.), ist unredlich und unwürdig einer demokratischen Partei. Der Trennungsschmerz der Union von den Schalthebeln der Macht nach über zwanzig Jahren Regierung muss ja auch mal überwunden sein. Schließlich ist die Kommunalwahl und damit das Abzeichnen des Machtverlustes inzwischen fast ein halbes Jahr her!

Jan Große Nobis

Jan ist Ureinwohner Münsters. In Münster geboren, ging er hier zur Schule, studierte Chemie, Geschichte und Soziologie und anderes und war in der juristischen Online-Redaktionswelt unterwegs – auch in Münster. In der Freizeit macht er antifaschistische Demo-Fotografie. Bei ostviertel.ms als Redakteur unterwegs.

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