Ortstermin im Atelier des Illustrators Jörg Hartmann in der Sophienstraße: Ein heller Raum mit großem Schreibtisch, vielen gerahmten Zeichnungen mit Münsteraner Motiven und einem extrem einladenden Sofa. Ein Hund liegt hinter dem Gasofen. Vor mir steht Jörg, 46, knapp zwei Meter groß und sehr entspannt.
Hallo Jörg! Bitte stell dich kurz einmal selbst vor!
Mein Name ist Jörg Hartmann, ich bin von Beruf Zeichner und arbeite hier in einem Ladenlokal, das ich nebenbei auch als Galerie betreibe. Der Schwerpunkt meiner Arbeit liegt momentan auf der Comic-Zeichnerei, das ändert sich aber immer ein bisschen, je nachdem, was angefragt wird oder was mich gerade besonders interessiert. Es kann auch sein, dass in zwei Jahren wieder Kinderbuch angesagt ist oder irgendwas ganz anderes.
Genau, wie du sagst, wir befinden uns hier in deinem Atelier in der Sophienstraße. Wie bist du dazu gekommen?
Ich wollte ganz gerne einen Arbeitsplatz haben, der sich außerhalb meiner Wohnung befindet. Und dann bin ich durch Zufall über diesen Laden gestolpert, der war relativ runtergekommen damals. Aber ich konnte mir sofort total gut vorstellen, hier drin zu arbeiten, und hab dann die Gelegenheit gehabt, den günstig zu erwerben. Und seitdem arbeite ich hier. Über die Jahre hat sich eine gewisse Nachfrage nach Bildern ergeben, so ist das dann jetzt eben nicht mehr nur Atelier, sondern auch ein bisschen Galerie. Ganz am Anfang hatte ich das Schaufenster total verrammelt, also mit Sichtschutz. Ich wollte auch gar nicht, dass Leute da hereingucken oder reinkommen können. Das hat sich gewandelt, das stört mich gar nicht mehr. Wenn ich aber richtig viel zu tun habe, mache ich auch wieder Home Office, weil hier dann zu viel los ist.
Ich liebe das Viertel hier. Das ist einer der tollsten Orte, die ich überhaupt kenne.”
Wo wohnst du denn?
Auch hier im Ostviertel, in St. Mauritz. Als ich in dieses Ladenlokal gezogen bin, habe ich noch viel näher gewohnt, hier vorne am Hohenzollernring, also quasi über die Straße. Das war einfach perfekt. Es ist immer noch perfekt. Ich liebe das Viertel hier! Das ist für mich einer der tollsten Orte, die ich überhaupt kenne. Ich halte mich gern im Viertel auf und treffe mich hier auch mit Freunden, und ich mag es auch, hier zu arbeiten. Das ist so eine Art Allround-Platz.
Wenn man sich hier im Ostviertel umschaut, gibt es überall zwischendrin kleine Kunst- und Modeateliers, Designwerkstätten usw. Meinst du, das ist hier ein Ort mit besonderer Anziehungskraft für so etwas?
Mir kam der wirkliche Ursprung der Idee eines solchen Ladenlokals, als ich mit meinem Hund durch das Viertel spazieren gegangen bin. Am Hubertihof kam ich an einem leerstehenden Ladenlokal vorbei, und da hab ich gedacht: Da könnte man doch eigentlich auch ein Atelier reinmachen. Ich glaube, dass das Viertel das hergibt, einfach weil es die räumlichen Möglichkeiten gibt. Und wenn dann die ersten Leute die Idee hatten, dann lassen sich auch andere inspirieren. Dadurch wächst so ein Viertel.
Hast du hier denn viel Laufkundschaft, oder machst du eher Geschäfte übers Internet? Wie läuft das bei dir?
Laufkundschaft habe ich eigentlich so gut wie gar nicht. Die Leute wissen aber, dass es mich gibt, weil ich das schon so lange mache. Ich bin jetzt schon seit 13 Jahren hier in diesem Laden, und das hat sich ein bisschen herumgesprochen. Und wenn die Leute kommen, dann kommen sie gezielt und wissen meistens auch schon ganz genau, was sie möchten. Und dann quatscht man da kurz drüber, und wenn es gut läuft, dann kaufen die halt ein Bild.
Hier in der Galerie haben ja viele deiner Bilder Münster-Motive, aber was malst und zeichnest du eigentlich generell?
Was hier an den Wänden hängt, ist nicht unbedingt repräsentativ für meine Arbeit. Das zeigt natürlich einen Ausschnitt, aber Münster-Motive machen gerade einmal ca. 5 Prozent meiner Arbeit aus. Ich bin ja vor allem Auftragsillustrator, und meine Kunden sind hauptsächlich Verlagshäuser oder große Konzerne. Die haben jetzt nicht unbedingt was mit Münster zu tun.
Ich fand Grafikdesign von allen künstlerischen Fächern am bodenständigsten (…) und hab dann doch was Unbodenständiges gemacht.”
Würdest du trotzdem sagen, dass du eine Verbundenheit mit Münster hast?
Ich bin kein Ur-Münsteraner. Ich bin nach Münster gekommen, weil ich Grafikdesigner werden wollte, und bin dann im Studium an der Fachhochschule für Design, wie sie damals noch hieß, zur Zeichnerei gekommen, weil das zum Pflichtprogramm im Grundstudium gehörte.
Hattest du vorher gar nicht richtig gewusst, ob du zum Zeichnen Talent hast?
Doch, ich wusste, dass ich Talent habe. Man sieht so was ja schon immer in der Schule, ob das besser klappt als bei den anderen Schülern. Aber ich hab das nie besonders kultiviert. Ich war gerade in meiner Jugend relativ unruhig, musste immer draußen sein und etwas mit Menschen machen. Das passte mit dem Zeichnen nicht so richtig zusammen, das kam dann erst viel, viel später, als ich schon hier in Münster war. Dass ich Design studiert habe, ist eben auch aus diesem Talent hervorgegangen. Und ich fand Grafikdesign von allen künstlerischen Fächern am bodenständigsten. Dann hab ich aber im Studium gemerkt, dass meine Leidenschaft beim Zeichnen liegt, und hab dann doch was Unbodenständiges gemacht. (Er lacht.) Aber das hat trotzdem schnell dazu beigetragen, dass ich erstaunlich ruhig wurde und dass ich was mit einer richtig ausgeprägten Leidenschaft betrieben habe. Das ist auch bis heute so geblieben.
Was hast du danach gemacht, bis du dieses Atelier eröffnet hast?
Ich hab dann im Studium erst mal so ins Blaue gezeichnet. Dann traf ich an der Fachhochschule Daniel Sohr wieder, den ich schon von Kindesbeinen an kannte. Daniel hatte bis zu dem Zeitpunkt Schulbücher illustriert und bekam dann die Gelegenheit, ein Kinderbuch zu machen, und dadurch wurde seine Stelle beim Westermann-Verlag frei. Die wurde dann ausgeschrieben. Ich hab dann einen Monat lang wie blöd gezeichnet und mich mit meinem Portfolio beworben, und sie haben sich für mich entschieden, wodurch ich dann schon ziemlich früh einen relativ lukrativen Job hatte. Nur wollte mein Professor das nicht prüfen, weil er meinte, dass Schulbuchillustration nicht gerade der Gipfel der Illustration ist. Und dann hat er gesagt: „Pass auf, Hartmann, mach mal irgendwie was anderes, Comics zum Beispiel.“ Also habe ich angefangen, Comics zu zeichnen, und ungefähr in der Zeit bin ich auch hier in das Atelier gezogen. In der Zwischenzeit habe ich dann auch noch Kinderbücher illustriert, das sind auch mittlerweile um die 50.
Wo wir schon grad bei den Comics waren: Am bekanntesten von dir sind sicherlich die Wilsberg-Comics. Wie bist du dazu gekommen, war das auch ein Auftrag vom Verlag gewesen? Auch das ist ja wieder etwas sehr Münsterzentriertes.
Ja genau, und so ist das auch entstanden. Als mein Professor gesagt hat, ich soll Comics zeichnen, wusste ich nicht so richtig, wie ich anfangen soll, und da hat er gesagt: Wilsberg! Wilsberg war damals noch nicht so richtig bekannt, auch hier in der Stadt nicht, und mir hat’s gar nichts gesagt. Also riet er mir, mir mal die Romane zu kaufen. Die hab ich dann gelesen, und ich hab auch absichtlich vermieden, die Filme zu gucken. Denn es ist immer schwierig, etwas Eigenes daraus zu machen, wenn man schon ein fertiges Bild im Kopf hat. Es war auch überhaupt nicht absehbar, dass davon irgendwas mal veröffentlicht wird. Die ersten Zeichnungen waren natürlich auch qualitativ noch überhaupt nicht so, dass sich ein Verlag dafür interessiert hätte.
Also hast du dir nach den ganzen Jahren auch nicht die Schauspieler zum Vorbild genommen?
Ja, das ist natürlich so eine Sache. Mein Comic-Wilsberg sah ursprünglich noch ein bisschen anders aus. Der hatte eine Brille und etwas gelockte Haare.
Das hat Leonard Lansink ja jetzt nicht direkt…
Nicht unbedingt. (Er lacht.) Mit der Zeit ist die ZDF-Produktion so mächtig geworden, dass ich eben trotzdem davon etwas mitbekommen habe, auch wenn ich versucht habe, das zu vermeiden. Irgendwann wusste ich dann also, wie der Fernseh-Wilsberg aussieht, und das ist bei mir dann auch noch mit eingeflossen. Jetzt ist der Comic-Wilsberg eben auch so ein Knautschgesicht.
Sich so in etwas zu vertiefen, dass man überhaupt nicht mehr davon loslassen kann. Dass ich dann abends auch die Zeit vergesse. Das hat man nicht bei jedem Projekt.”
Aber das ist natürlich cool, dass du dann von Anfang an dabei warst. Wilsberg ist ja auch ein Verkaufsschlager.
Ja, das ist super gewesen. Von Anfang an dabei gewesen zu sein, schützt einen natürlich auch vor dem Vorwurf, da irgendeine Welle zu surfen, so nach dem Motto: „Da machen wir jetzt einen Comic draus, der verkauft sich bestimmt gut.“ Darum ging es mir nie, auch weil es eigentlich nie zur Veröffentlichung vorgesehen war. Wilsberg war eben meine Comic-Spielwiese. Ich war neugierig und wollte gucken, wie es geht, einen Comic zu zeichnen. Und ich habe das über Jahre immer wieder in der Schublade verschwinden lassen, dann wieder hervorgeholt, überarbeitet, daran herumgefeilt, Sachen verworfen, wieder neu entworfen usw.
So richtig mit Herzblut dabei.
Ja, das schon auf jeden Fall. Das spielte immer eine große Rolle. Sich so in etwas zu vertiefen, dass man überhaupt nicht mehr davon loslassen kann. Dass ich dann abends auch die Zeit vergesse. Das hat man nicht bei jedem Projekt, das kommt oder es kommt nicht. Und bei Wilsberg war das so. Außerdem ist es natürlich auch toll, dass das hier in der Stadt spielt. Jürgen Kehrer („Wilsberg”-Autor, J.T.) beschreibt das aber nicht immer so eindeutig, wo welche Handlung spielt, und ich hatte komplette Freiheit, weil es ja ursprünglich eh nicht publiziert werden sollte. Also hab ich einfach das gemacht, wozu ich Lust hatte, bin rumgegangen und hab geguckt, wo was sein könnte, und hab mir auch Orte ausgedacht. Und auch wenn’s im Buch stand, hab ich manchmal ganz andere Orte gezeichnet, weil die mir am Herzen lagen oder ich eine Beziehung dazu hatte. Also einfach: Gemacht.
Letztlich ist er dann ja aber auch doch noch veröffentlicht worden. Gibt’s jetzt gerade andere Comics, an denen du arbeitest?
Ich hatte schon während der Produktion am „Wilsberg“-Comic verschiedene Angebote, die ich dann ausschlagen musste, was ich anschließend manchmal bereut habe, weil auch internationale Sachen dabei waren. Irgendwann kam dann aber zum genau richtigen Zeitpunkt wieder eine Anfrage per Mail von einem Autor aus New York. Er schrieb, dass er gerade mit seinem französischen Agenten in New York in einem Café saß und dass dieser Agent über einen Zeichner aus Deutschland gestolpert wäre, also mich, und ob wir nicht zusammen was machen wollten. Das fand ich natürlich eine tolle Geschichte, und jetzt arbeiten wir zusammen an einem Projekt. Das ist noch ein bisschen geheim, wir sind noch im Abschluss der Präsentationsphase. Nächste Woche ist in Frankreich ein großes Comic-Festival, das größte in Europa. Und da wird der Agent unsere Entwürfe dann den internationalen Verlagen anbieten. Das ist für mich schon ein megaspannender Moment gerade. Mal gucken, was die Sachen wert sind! So etwas ist auch immer gefährlich, denn bis zu diesem Zeitpunkt arbeite ich ins Blaue, das bezahlt ja keiner. Und dann erst entscheidet sich, ob irgendwann mal Geld fließt. Also das ist dann schon auch ein wichtiger Punkt, ich bin ja auch kein Student mehr, ich habe Familie.
Du hast gesagt, du arbeitest in erster Linie auf Aufträge hin. Gibt es denn auch trotzdem noch was, was auch aus dir heraus passiert, also Kunst, die du eben einfach selber machen willst?
Das passiert natürlich auch die ganze Zeit. Ich habe ständig den Kopf voll mit irgendwelchen Sachen, die ich gerne umsetzen möchte. Beispielsweise betreibe ich auch noch eine Druckwerkstatt zu Hause im Keller, da mache ich Radierungen und Siebdruck. Oder ich hatte einfach mal Bock, Musiker zu zeichnen, und habe dann Tom Waits, Nick Cave und Iggy Pop umgesetzt. Das sind dann meistens keine Auftragsarbeiten. Mir ist es auch sehr wichtig, dass ich nicht nur Auftragsarbeiten mache.
Auch wenn das nur ein Ausschnitt aus deiner Arbeit ist: Hast du unter den Werken, die hier in der Galerie stehen, so etwas wie ein Lieblingsbild?
Das eine Bild dort ist in Paris entstanden. Das ist eins von meinen ersten puristischen Aquarellen gewesen. Die anderen Sachen, die man hier so sieht, sind ja alles kolorierte Zeichnungen, das Paris-Bild ist aber eine Malerei. Das war daher auch irgendwie ein Meilenstein für mich. Außerdem war es auch eine wirklich schöne Zeit in Paris. Das ist in der Rue Saint-Séverin, einer der ältesten Straßen in Paris. Da liegt mir was dran, daher ist das Bild auch so schön gerahmt.
Wie geht’s mit dir und dem Atelier weiter? Und was möchtest du vielleicht unbedingt noch tun?
Da ist immer die Frage, ob man das erzählen muss. Wenn man etwas macht, was für Menschen ungewöhnlich erscheint, dann haben die Leute eine Neigung, einem das ausreden zu wollen. Es mangelt so ein bisschen an Vorstellungskraft. Oder vielleicht haben die Leute auch einfach Sorge, dass man sich in irgendwas verrennt. Das ist ja vielleicht auch ganz positiv. Aber zumindest was den Laden betrifft, der soll mal ruhig schön so weiterlaufen, wie er läuft. Und wenn sich das noch irgendwohin entwickelt, dann freue ich mich.
Wir freuen uns über das Interview uns danken Jörg herzlich für seine Zeit. Weitere Infos und Bilder aus der Galerie: http://www.atelier-hartmann.de. (Fotos: Jakob Töbelmann)
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