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Nachhaltig leben, aber wie?

Durch die wiederholten Fridays For Future-Demonstrationen rücken der Klimawandel und die dadurch entstandene Krise immer weiter in den Vordergrund. Was kann man machen, um die Welt noch zu retten, und wie lebt man nachhaltig? Ich habe mich mit Anna Witte, Masterstudentin in Humangeografie, darüber unterhalten.

Anna Witte (Foto: Blattbeton)

Kannst du dich einmal kurz vorstellen?

Ich bin Anna Witte und engagiere mich ehrenamtlich für den Verein Blattbeton. Das mache ich aus der Intention heraus, nicht immer nur zu kritisieren, was alles in der Gesellschaft falsch und nicht nachhaltig läuft, sondern selber dazu anzustoßen, sich anders zu verhalten. Wir wollen in dem Bereich Bildung verbreiten, damit Leute einfach ein besseres Werkzeug haben, wie sie mündige Bürger*innen sein können und wie sie sich selber nachhaltiger verhalten können. Sie sollen auch wissen, wie sie dazu anstoßen können, dass sich in der Gesellschaft etwas ändert und die Rahmenbedingungen insofern verändern, dass es einfacher ist für den Menschen, nachhaltig zu leben.

Oft fehlt der richtige Ansatz. Die Gesellschaft merkt, dass es Zeit ist umzudenken. Doch was kann man machen, um sich nachhaltig zu ernähren oder nachhaltig zu leben?

Das ist eine Frage, die nicht so einfach zu beantworten ist, weil es sich um ein komplexes Themengebiet handelt. Ich würde sagen, der erste Schritt ist, sich damit auseinanderzusetzen. Was kann es überhaupt bedeuten, in einer nachhaltigeren Gesellschaft zu leben? Da sind natürlich viele Themenbereiche betroffen. Wenn wir jetzt überlegen – Verkehr oder Ernährung sind ganz wichtige Themen, aber überhaupt das gesamte Konsumverhalten. Wir nutzen die Ressourcen unseres Planeten immer, wenn wir konsumieren. Da ist es natürlich wichtig zu wissen, was welches Verhalten an Konsequenzen für die Erde oder auch für die Mitmenschen zur Folge hat.

Wo du jetzt schon das Konsumverhalten angesprochen hast, was kann man denn konkret daran ändern?

Konkret am Konsumverhalten kann man ändern, dass man sich zum Beispiel damit auseinandersetzt, welche Methoden es gibt, um überhaupt Güter zu generieren. Wie werden Güter hergestellt, unter welchen Bedingungen und was haben diese Wege der Herstellung und der Produktion eigentlich für Auswirkungen auf den Planeten und auf unsere Mitmenschen? Die soziale Komponente würde den Gedanken beinhalten: Leiden andere Menschen bei der Produktion der Güter, die ich konsumiere, oder wird die Umwelt von Menschen oder auch Tieren geschädigt durch unser Konsumverhalten? Das wäre der Ansatz, über den man gehen könnte. Konkret könnte das dann bedeuten: Brauche ich wirklich alle Dinge, die ich im Alltag für selbstverständlich gegeben halte, ist es wirklich notwendig für mein Glück oder für mein Selbstbefinden, dass ich auf diese Konsumgüter in dem Maße, wie es praktiziert wird, zurückgreife? Kann ich da nicht selber an meinem eigenen Verhalten schon einen Schritt in die richtige Richtung tun? Kann ich nicht gucken, dass ich Lebensmittel beispielsweise präferiere zu kaufen, also lieber kaufe, als andere Lebensmittel, weil sie unter nicht ganz so schädlichen Bedingungen für Mensch und Umwelt produziert wurden?

Wovon hängt es eigentlich ab, dass die Menschen nachhaltiger leben können? Die Verantwortung in dem Bereich wird ja oft auf die Industrie oder die Politik geschoben.

Ich persönlich denke, dass es eine Kombination aus vielen Aspekten ist. Auf der einen Seite ist es gesetzlich möglich, Dinge unter Konsumwaren herzustellen, ohne zu beachten, was das für Folgen für Umwelt und Mitmenschen haben kann. Da ist natürlich die Politik gefragt, die Rahmenbedingungen so zu setzen, dass schädliche oder nicht-nachhaltige Konsumgüter und Verhaltensweisen nicht belohnt werden können, indem sie dadurch sehr viel mehr Wertschöpfung als Produzent oder als Industrie rausschöpfen können. Wertschöpfung sollte mehr beinhalten, was letztendlich bei einem bestimmten Produkt oder auch bei einer bestimmten Wertschöpfungskette an Folgekosten verursacht werden. Mit Folgekosten meine ich Kosten für Umwelt und Kosten für Menschen, die eben nicht im Produktpreis inkludiert sind. Wenn ich meinetwegen ein Lebensmittel kaufe, was unter dem Einsatz von Agrochemikalien und Fertigungsmechanismen hergestellt wurde, die eben die Umwelt schädigen oder den Menschen schädigen, dann darf es meiner Meinung nach nicht so günstig produziert werden, weil die Kosten letztlich nicht dem Produzenten schaden, sondern der Umwelt.

Da gebe ich Dir Recht. Womit könnte man eigentlich anfangen? Was könnte man als erste Veränderung in seinem Leben einführen? Viele Menschen finden es schwierig, weil sie glauben, ihr ganzes Leben an einem Tag umstellen zu müssen.

Ja, und das System macht es einem auch nicht einfach. Also wenn ich da jetzt aus der Perspektive eines Studenten draufschaue und auf das begrenzte Budget, was für die Lebenserhaltungskosten zu Verfügung steht, dann ist es schwierig zu sagen: Ok, ich kauf jetzt nur noch Biolebensmittel auf dem Markt ein oder gehe nur noch in Unverpacktläden, wo ich dann zumindest Einfluss darauf habe, wie die Lebensmittel verpackt sind und ob das noch mehr Ressourcen in Anspruch nimmt oder eben nicht. Da denke ich, ist wirklich die Politik gefragt, die Rahmenbedingungen so zu fassen, dass es dem*der einzelnen Bürger*in leichter möglich ist, sein*ihr Leben nachhaltiger zu führen.

Und als erster Schritt?

Wir als Bürger*innen haben zwei mögliche Wege, die wir gehen können, um nachhaltiger zu leben. Zum einen weiter politisch engagiert zu sein und auch unserer Intention, also nachhaltiger zu leben, politischen Nachdruck zu verleihen, dass da auch Politiker*innen auf die Idee kommen, dies umzusetzen. Das ist allerdings die langfristige Methode, die man anwenden kann. Die kurzfristige ist, ganz pragmatisch, sich immer wieder in seinem Alltag zu fragen: Was brauche ich, um ein Leben zu führen, das mich zufrieden macht, und kann ich diese Ressourcen, die dafür nötig sind, nicht reduzieren? Kann ich nicht zusehen, dass es in dem Rahmen, wie es jeweils möglich ist, auch finanziell möglich ist, mich gegen bestimmte Konsumentscheidungen zu stellen?
Also, es ist in der Regel immer anstrengender nachhaltig zu leben, weil man sich immer mehr damit auseinandersetzen muss. Was konsumiere ich, wie konsumiere ich, wie wird das, was ich konsumiere, überhaupt hergestellt? Da wird den Konsument*innen eine wahnsinnige Verantwortung auferlegt, die meiner Meinung nach nicht von der Masse der Konsument*innen getragen werden kann. Das führt zu einer gewissen Überforderung.
Deswegen fragen ja viele: Was kann ich konkret in meinem Alltag tun? Das sind ganz einfache Geschichten wie: Guckt euch mal in eurem Badezimmer um. Was braucht ihr an Kosmetika, was ist davon überflüssig, was könnte man ersetzen durch eine nachhaltigere Alternative? Da kann man ganz einfach im Internet recherchieren, was es da gibt.
Man stolpert Greenwashing: einem Unternehmen durch Marketing ein umweltfreundliches Image ohne Grundlage geben natürlich viel über Produkte, die von Unternehmen designt wurden, um nachhaltig zu klingen. Da ist dann wieder der vernünftige Menschenverstand gefragt und muss dann sagen: Ok, ein fair produzierter Kaffee ist schön und gut, aber wenn ich davon 20 Tassen am Tag trinke, dann hat das auch nichts mehr mit Ressourcenschonung oder Nachhaltigkeit zu tun.
Das heißt, wir brauchen mündige Bürger*innen, mündige Konsumenten und Konsumentinnen, die selber kritisch denken.

Was machst du denn schon, um nachhaltig zu leben?

Also, was ein Punkt ist, über den ja mittlerweile jeder redet, ist der Fleischkonsum im Nahrungsmittelsektor. Wie mittlerweile fast alle Leute wissen, braucht Fleisch sehr viele Ressourcen, um erzeugt zu werden. Das ist ein Bereich, bei dem man ganz einfach als Konsument*in sagen kann: Ok, ich konsumiere weniger oder sogar gar kein Fleisch oder tierische Produkte. Das ist z.B. eine Sache, die jede*r in der Hand hat. Es ist auch nicht teurer, sich fleischlos zu ernähren, um diesen Mythos mal auszuräumen. Von daher ist es nicht nur für die Konsument*innen sogar günstiger, sich fleischlos zu ernähren, sondern auf jeden Fall für unsere Umwelt und unseren Planeten.
Das wäre ein Punkt. Tierische Lebensmittel kritischer zu betrachten, ob sie wirklich notwendig sind für unser aller Glück. Das wäre der erste Punkt, was Nahrungsmittel angeht.
Dann natürlich, wo man es sich leisten kann, auf die Produktionsweise achten. Es gibt auch in Münster schon verschiedene Methoden, günstiger an biologisch produzierte Nahrungsmittel zu kommen. Da gibt es zum Beispiel bei dem AStA (Allgemeiner Studierendenausschuss) die grüne Kiste, die man sich einmal die Woche bestellen kann. Es gibt verschiedene Formen solidarischer Landwirtschaft um und in Münster, bei der man in eine Genossenschaft eintreten kann, in der ökologisch produzierte Lebensmittel unter den Genossinnen und Genossen verteilt werden.
Es gibt Mietackersysteme, in denen man sich selber als Stadtbürger*in einbringen kann und mal wieder einen Bezug zu Lebensmitteln aufbauen kann. Das ist ja auch ein Punkt, an dem wir in unserem gemeinnützigen Engagement denken. Es ist immer leichter, sein eigenes nachhaltiges Wissen umzusetzen, wenn man auch einen persönlichen Bezug dazu hat. Wenn man selber schon eine Möhre mit viel Aufwand gezogen hat, dann weiß man es zu schätzen und hat es viel präsenter im Supermarkt. Es kann nicht sein, dass man drei Kilo Möhren für einen Euro kaufen kann und dass sie auch für einen Euro produziert worden sind. Es geht nicht ohne damit verbundene Folgekosten für Mensch und Umwelt. Das ist ein wichtiger Aspekt, um nachhaltiges Denken auch in nachhaltiges Handeln umzusetzen.

Amira El Shoura

Kleiner Kampfzwerg mit in vertrautem Umfeld zu großer Klappe

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