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“Mut zum Clownsein”

Wolfgang Konerding, den meisten wohl eher unter seinem Künstlernamen bekannt: Clown Fidelidad. Er ist hier im Ostviertel aufgewachsen, hat als Kind mit Freunden am Kanal Fußball gespielt. Und heute, nach 38 Jahren Clownerie, haben wir uns zu einer Tasse Tee in seine private Manege eingeladen, um über seine Erfahrungen zu sprechen. 


Sebastian:
Wie bist du damals Clown geworden?

Wolfgang Konerding: Ah, das ist inzwischen schon eine ganz lange Geschichte. Clown geworden bin ich dadurch, dass ich von einem Freund zu einem Workshop in Italien eingeladen wurde. Dieser Freund war damals ein Besucher unserer WG. Ich wohnte in einer Studenten-WG, und mein Freund war Musiker. Ich war auch Musiker. Wir waren zusammen in einer Band und sind beide zu einem Workshop in der Toskana nach Italien gefahren. Dieser ging über 2 Wochen, und gleichzeitig zu dem Workshop gab es verschiedene Angebote. Ich machte beim Maskenbau/Maskenspiel-Workshop mit, während mein Freund beim Clown-Workshop mitgemacht hat. In dieser Zeit in der Toskana habe ich viele neue Impulse fürs Leben bekommen: Man sollte da z.B. Gefühle darstellen, man konnte eine Maske bauen, man konnte sich ein Kostüm zusammenstellen, und das hat bei mir bewirkt, dass ich so was wie eine neue Lebendigkeit in mir entdeckte. Danach sind wir nach Münster gekommen und haben eine Straßentheatergruppe aufgemacht, das waren die Pulswärmer. Und mit denen sind wir dann richtig aufgetreten, mit Straßentheater am Lamberti-Kirchturm. Das ist inzwischen schon 35 Jahre her. Gleichzeitig hatte ich damals Sozialpädagogik studiert und konnte dann als Sozialpädagoge eine Diplomarbeit zum Theater schreiben. Das Theater war für mich damals eine unglaubliche Möglichkeit mich zu entwickeln. So kam das.

Wie reagieren eigentlich Menschen, wenn du ihnen zum ersten Mal erzählst, dass du Clown bist?

Oh, das ist immer spannend! Wenn ich gefragt werde: „Was sind Sie von Beruf?” Und ich: „Clown.” Die meisten Leute sind sehr erstaunt. „Oh, das ist aber selten, einen Clown zu treffen.” Und meistens komme ich dann schon in Erklärungsnot. Aber so auf Partys ist das dann meistens sofort ein ganz intensives Gespräch. Manchmal mag ich das nicht. Ich denke, ich frage auch nicht einen Psychologen, wie er mit seiner Seele umgeht, oder jeden Zahnarzt, wie denn seine Zähne aussehen. Aber beim Clown wird dann immer sofort gefragt: „Sind Sie denn immer lustig?” oder „Wie sind Sie das den geworden?” Das sind dann sofort Fragen, die sehr persönlich sind. Das ist auf der einen Seite schön, aber auf der anderen möchte man manchmal vielleicht nicht so viel von sich erzählen.

Viele denken beim Clown an den Zirkus. Du bist selbstständig. Wie groß ist der Unterschied zwischen einem freischaffenden Künstler und jemandem, der in einer großen Zirkustruppe arbeitet?

Der Zirkus hat den Vorteil, dass du einen geschützten Rahmen hast, einen Arbeitgeber, der dich versichert, der dich rein logistisch in einem Unternehmen mitnimmt. Du kriegst einen Wohnwagen gestellt. Alle diese Dinge übernimmt ja der Zirkus, wenn du dich im Zirkus anstellen lässt. Ich habe mal im Zirkus gearbeitet, allerdings nur zwei Wochen lang, in einem Familienzirkus. Und da habe ich das wirklich kennengelernt, wie die zusammenhalten. Das hat mir schon total gefallen, dass die sich auch schützen. Also, wenn die in die Dörfer kommen, halten sie als Familie, als Zirkus, so zusammen und lassen nichts auf sich kommen. Und wenn du so wie ich als Einzelkünstler arbeitest, kommst du zu allen möglichen Orten. Zum Bennohaus, das ist nur ein Ort, dann musst du im Bennohaus mit dem Hausmeister klarkommen, mit dem Chef, mit dem Putzdienst und, und, und… Das ist jetzt nur ein Beispiel. Dann kommst du in eine Grundschule, dann kommst du auf einem Stadtfest auf eine Bühne, und das sind alles Situationen, wo du als freischaffender Künstler sicherlich sehr viel lernen musst, mit Menschen umzugehen. Und ganz wichtig dabei ist auch, unglaubliche Anpassungsfähigkeit zu haben und die einzelnen Situationen zu meistern. Das finde ich nicht einfach. Es ist auch das Schöne, dass du selbstbestimmt bist und dass da kein Chef ist, der dir sagt: „Also, mach das mal!” Du bist da dein eigener Chef, und das finde ich das Schöne und Freie an dem Beruf.

Gibt es eigentlich verschiedene Arten von Clowns?

Durchaus! Also ich würde erst mal sagen, einen Clown kannst du nur aus dir selbst erschaffen. Wenn du ein Clown sein willst, kreierst du den, entwickelst du den, schaffst du den aus dir. Es hat etwas mit deiner kindlichen Seite zu tun, mit deiner Naivität und dem, was du so an lustigen Seiten an dir entdeckst. Aber es gibt natürlich in der Profession, dem Beruf des Clowns, verschiedene Typen, und da sprechen wir zum Beispiel in der Zirkuswelt von den drei Protagonisten: dem Weißclown, dem Augustclown und dem Direktorclown. Diese drei sind so die wesentlichen Typen, die man als klassische Clowns bezeichnen könnte.

Als welchen davon würdest du dich selbst beschreiben?

Eher der August, aber durchaus auch Weißclown-Elemente und auch Direktorclown-Elemente. In meiner Show habe ich tatsächlich viele verschiedene Seiten von diesen Typen, aber in der Essenz, in der Basis, ist es eher der August-Typ. Der dumme August, der naive August, auch der bollerige August, der lebendige August, der fühlende August, dieser fühlende Aspekt des Clowns.

Du hattest ja auch schon einige Auftritte im Bennohaus, aber auch Workshops, wie „Finde den Clown in Dir”. Wie bringst du den Kindern bei, Clown zu werden?

Ha, ich sag da immer: Denen muss man das gar nicht beibringen, die sind das. Nein, also es ist mit Kinder total spannend, weil die oft ganz spontan wirklich ganz lustig sind. Die haben einen viel schnelleren Zugang zu ihrer Naivität als Erwachsene. Die sind eben naiv! Die können nicht alles. Insofern ist ihnen diese Haltung des Clowns sehr vertraut. Deshalb lieben die ihn auch. Aber auf der anderen Seite ist es dann auch sehr schwierig, weil sie merken, wenn sie eine Clown-Nummer üben, dass dann plötzlich diese Naivität geübt wird. Da üben sie dann richtig, wie kommt es, dass wenn der August spielt, dass das und das jetzt passiert. Da musst du dann fünf Mal spielen, und dann ist das für die Kinder sehr schwierig, weil das dann ja so was ist, wie man es eigentlich nur dem Profi abverlangt, dass er das zwei-, dreimal übt. Da merken die Kinder dann auch plötzlich: Das ist ja ‘ne richtig dicke Arbeit!

 

Ich glaube, die Figur ist *schnipps* in dem Moment da, in dem der Vorhang aufgeht.”

 

Ja, beim ersten Mal ist es noch etwas Neues und Interessantes, was man ausprobieren möchte, aber es dann genauso wiederholen zu können, als wäre es das erste Mal, ist bestimmt schwierig.

Das ist eine sehr professionelle Haltung bei Clowns, dass die ihre Gags tausendmal gespielt haben, aber immer noch so spielen, als wäre es das erste Mal, und das ist die Kunst. Also das, was ich da spiele, habe ich vielleicht auch schon tausendmal gespielt, aber dass es so rüber kommt, als würde dir das wirklich so zum ersten Mal passieren, das macht auch das gute Handwerk des Clowns aus. Und nicht jeder möchte unbedingt lustig sein. Ein anderer möchte viel lieber Tänzer sein, möchte viel mehr der Sänger sein. Nicht alle Kinder wollen immer Clowns sein, und das fällt oft auf.

Wie lange brauchst du eigentlich zur Vorbereitung vor einem Auftritt, zum Schminken und fürs Kostüm?

Inzwischen kann ich es in einer halben Stunde. Ich nehme mir aber gerne eine Stunde Zeit, wenn es möglich ist. Und wenn es ganz schnell gehen muss, kann ich’s auch in einer Viertelstunde, aber das finde ich nicht so schön, weil es natürlich auch wichtig ist, dass du vor einem Auftritt Zeit hast, wo du dich besinnst und zu dir selbst kommst.

Und du brauchst dann auch die Zeit, um von Wolfgang zu Fidelidad zu wechseln? Geht das in einem Augenblick, oder muss die Maske dafür da sein?

Also, ich glaube, ich könnte das jetzt in einem Augenblick machen, aber die Maske ist dafür schon hilfreich. Ich glaube die Figur ist *schnipps* in dem Moment da, in dem der Vorhang aufgeht. Aber vorher ist es auch gut, wenn ich mir Zeit nehme. Ich muss mich vorher warm machen. Ich versuche, ein bisschen Meditation zu machen, um entspannt zu sein. Den Clown zu finden ist jedes mal auch ein gewisses Glück. Wird er zu spüren sein, oder wird er nicht zu spüren sein? Es gibt Kinder, die kommen nach dem Auftritt, das ist für mich immer unheimlich interessant: Dann komme ich nach dem Auftritt raus, habe mich abgeschminkt und habe schon einen Bademantel an, weil ich dann schon ziemlich nassgeschwitzt und angestrengt von der Arbeit bin, und da sagt die Mama: „Guck mal, da ist der Clown!” Und dann sagt das Kind: „Der Clown ist nicht da. Wo ist denn der Clown?” Dann kann man das so toll erkennen, dass die den Clown gesehen haben und Wolfgang, der jetzt als Wolfgang erscheint, nicht mehr mit dem Clown in Verbindung bringen.

Meinst du denn, dass das nichts mehr mit dem Äußeren zu tun hat?

Es ist beides. Also, es hat sicherlich etwas mit dem Äußeren zu tun, weil ich mich ja schminke, eine bestimmte Kleidung anziehe und eine bestimmte Frisur habe, und das hilft mir auch, zu dieser Figur zu finden, und insofern ist es auch durchaus äußerlich. Aber es ist von der Haltung, von dem was ich ausstrahle, oder was ich in dem Moment da spiele, auch etwas sehr Innigliches. Aber das kannst du eben nicht so erzählen. Ich müsste es dir vorspielen, und wenn du es dann glaubst, ist es gut.

Wie gehst du denn an den individuellen Menschen heran, um ihn zum Lachen zu bringen?

Also, wenn ich in der Manege bin, dann habe ich meine Clownsnummern, aber im täglichen Leben wirklich auf einen Menschen zuzugehen, humorvoll zu sein, finde ich manchmal nicht so einfach. Man ist ja auch selbst nicht immer gut drauf. Aber wenn man es schafft, dann finde ich die Situation immer sehr viel schöner, wenn du den Witz, den Humor in den Alltag bringst. Wenn ich im Franziskus-Hospital für die kranken Kinder auftrete, muss ich immer mit meinen ganzen Clownssachen den Aufzug hochfahren, und dann triffst du unterwegs ganz viele Leute. Dann wirst du angesprochen, und die Leute erwarten fast, dass du dann auch schon lustig bist. Manchmal versuche ich das sogar. Aber es ist auch etwas, was ich als Lebensweise gut finde, wenn man lustig ist, wenn man Humor hat, nicht alle Dinge im Leben so tierisch ernst nimmt und das auch zu entdecken weiß. Ich weiß nicht, ob du mich humorvoll erlebst. Aber vielleicht…?

Wie behältst du nach über 37 Jahren die Motivation, und war es über die Zeit hinweg schwierig, auch finanziell an dem Beruf festzuhalten?

Ja… die Motivation zu behalten finde ich wirklich eine große Herausforderung, gleichzeitig aber auch das Schöne an dem Beruf. Ihr könnt euch vorstellen, ich bin auch nur Wolfgang und habe meine menschlichen Regungen. Und wenn in der Familie viel los ist, meine Mutter vor zwei Jahren gestorben ist, dann kann ich euch auch sagen, dass es gerade dann schön ist, wenn man dann Clown sein kann, weil es einen aus dieser tiefen Traurigkeit rausholen kann. Aber die existenziellen Sorgen sind sicherlich eine große Herausforderung, weil man nie so sicher sagen kann: ‚Wie funktioniert das? Wie wird das nächste Jahr?‘ Und selbst nach 37 Jahren, selbst das 38. Jahr, das ich vor mir habe, ist das wieder, wieder, wieder eine große Herausforderung, das auch wieder finanziell zu stemmen. Man muss ein Auto fahren, man hat die ganzen Requisiten, dann muss mal ein neuer Scheinwerfer her, dann muss mal dieses oder jenes angeschafft werden. Und das kostet alles Geld, und das muss auch verdient werden. Ich muss mich davon bezahlen, ich muss mich versichern. Da könnt ihr schon mal heraushören, was das auch alles für einen materiellen Aspekt hat neben dem idealistischen Aspekt. Da kommt man auf den Boden.

Wo du gerade den idealistischen Aspekt erwähnst: Clown zu sein ist für dich auch eine Fortführung der Tradition, oder? Nicht nur ein Beruf?

Also ich würde das nicht als Gegenpol setzen. Ich habe mich ein bisschen auf das Interview vorbereitet und dann tatsächlich noch mal Literatur gewälzt. Und ich habe da zwei Bücher gefunden, die über das Clownsein noch mal unheimlich weit ausholen und feststellen, dass Clownsein sogar mit ganz frühen Kulturen zu tun hat. Zum Beispiel mit der griechischen Kultur, mit dem Theater in Griechenland, der Commedia dell‘arte, und insofern, wenn man Clown wird, ist man irgendwann an dem Punkt, wo man merkt, man hat eine große Tradition. Es ist so, wie wenn man von Beruf Musiker ist, dann fängt man an: ‚Wann gab es zum ersten Mal Musik, welche Musikrichtungen interessieren mich?’ Und da gibt es in der Clownerie richtig Tradition, und der fühle ich mich durchaus verbunden.

Was ist für dich der wichtigste Teil in der Tradition?

Eines ist mir heute aufgefallen, das finde ich total toll. In der Commedia dell‘arte, das ist eine alte Maskentheatertradition, gab es diese Figuren, die die Schauspieler ein Leben lang spielen. Und diese Tradition, die finde ich am Clown sehr typisch, dass du ein Leben lang dieser Clown bist. Das ist dein Leben! Und das ist der Unterschied zum Schauspieler, der immer alternierend arbeitet. Der spielt mal den Romeo, mal den Kapitän, mal den Hamlet, all diese verschiedenen Möglichkeiten, während der Clown immer der Clown ist. Das ist am Clown wirklich etwas Besonderes: Ein Leben lang diese Figur zu verkörpern und sie weiterzuentwickeln und mehr zu verfeinern.

Was sind so die größten Idole, mit denen du aufgewachsen bist, an denen du dich orientiert hast, während du an deinen eigenen Künsten gefeilt hast?

Mein größtes Idol, als ich Clown wurde, war tatsächlich Oleg Popov. Als ich Clown wurde, lebte er noch, und da habe ich ganz viele Aufführungen von ihm besucht. Ich bin sogar mal extra nach Mannheim gefahren, weil er da spielte. Und Dimitri war zu der Zeit auch noch am Leben, der war ein Clown aus Ascona in der Schweiz. Und im Moment ist ein Clown in den letzten zehn Jahren bei mir ein großen Vorbild geworden, und das ist der Fumagalli. Der hat bei Roncalli sehr viel gearbeitet und hat eine sehr klassische Clownstradition. Den finde ich göttlich, er ist super. Also, da lachst du dich kringelig, der ist so gut. Das ist ein großes Vorbild, wie der das hinkriegt.

Und wen wir vorhin im Vorgespräch schon mal erwähnt haben: Dick und Doof. Die sind zwar eher aus Film und Fernsehen bekannt, aber würdest du die auch als Clowns bezeichnen?

Ja, Komiker.

Laurel und Hardy haben ja nicht nur ihre Rolle als Dick und Doof, genauso wie z.B. Mr. Bean. Die Figur Mr. Bean ist ja auch eher ein Clown, aber der Künstler selbst, Rowan Atkinson, spielt auch noch andere Charaktere.

Ja, also Mr. Bean mag ich sehr. Ich finde den unglaublich subtil und menschlich, unheimlich intelligent. Ich mag an ihm sehr, dass er diese sehr, sehr menschlichen Seiten zeigt. Und große Vorbilder sind für mich auch Charlie Chaplin — natürlich! — und diese Clowns, die so einfach was drauf haben. Charlie Rivel, wenn ihr den mal wirklich zu sehen bekommt… In Videos kann man den noch sehen. Und Dick und Doof würde ich durchaus als Clowns bezeichnen. Die sind sehr derb, und da habe ich als Kind schon ganz viel drüber gelacht.

 

Ihr benutzt etwas, was ich lange Jahre geübt habe, wo ich richtig für eintrete, und macht daraus eine Schreckensnummer. Das kann ich nicht akzeptieren.”

 

Dann einmal in die ganz gegenteilige Richtung: Wenn einige Leute an einen Clown denken, läuft ihnen ein Schauer über den Rücken, und einige haben sogar richtig Angst vor dem Clown. Woher, denkst du, kommt das? Und wie reagierst du, wenn ein Zuschauer, eines der Kinder, vor dir Angst hat, ?

Bisher ist es mir fast immer gelungen, wenn ich mal eine Angstreaktion erlebt habe, dass ich die Menschen wieder froh gestimmt habe. Das ist mir dann wirklich eine Herausforderung, wenn ein Kind weint oder was es auch immer ist. Ich bin dann vielleicht in einem Moment sehr laut gewesen, und es hat sich erschreckt, oder es hat einen schlechten Tag, weil es grippig ist, oder Mama musste kurz auf Toilette und es ist plötzlich alleine, und der Clown bewegt es dazu, Angst zu bekommen. Dann habe ich als Künstler den großen Wunsch, und ich finde auch die professionelle Absicht, das Kind dann aus der Angst rauszuholen, wegzuholen, zur Freude, zum Lachen. Und das gelingt fast immer, aber manchmal muss ich auch respektieren, dass das Kind weiterhin Angst hat, und ich finde, jeder Mensch hat ein Recht auf seine Angst. Das ist in Ordnung.
Das andere, mit diesen düsteren Seiten des Clowns, was ja heute oft in den Medien sehr en vogue ist; es gab ja vor drei Jahren richtig große Presse, einen richtigen Hype darum. Da kann ich sagen, dass ich diese Filme nie angeguckt habe, und ich kann deshalb zu denen nicht viel sagen. Ich würde nicht über etwas erzählen, über das ich nichts weiß. Die Reaktionen habe ich aber zu spüren bekommen. Ein Beispiel: Ich fahre durch Altenberge und will meine Plakate für einen Auftritt aushängen. Da kommen zwei Jugendliche vorbei und sagen: „Hey, bist du Clown?” Ich sage: „Ja, ich bin Clown. Ich habe gerade meine Schilder aufgehängt und habe demnächst eine Aufführung.” — „Ja, wir sind gestern mit ‘ner Kettensäge durch Altenberge gegangen und haben ‘ne Clownsmaske aufgesetzt und haben die Leute erschreckt!” Ich sage: „Was habt ihr gemacht? Wieso erschreckt ihr denn die Leute? Und wisst ihr was? Wenn die Leute jetzt denken, dass ich deshalb ein schrecklicher Clown bin, finde ich das richtig gemein von euch. Ihr benutzt etwas, was ich lange Jahre geübt habe, wo ich richtig für eintrete, und macht daraus eine Schreckensnummer. Das kann ich nicht akzeptieren. Das akzeptiere auch nicht.”

Was ist Gromolo?

Gromolo, aaaah, das ist eine Sprache ohne Worte. Es kommt tatsächlich aus der Commedia dell’arte, einer alten Theatertradition, und dieses Theater war ein starkes Volkstheater, wo die Schauspieler in Dörfern herumfuhren und bewusst kein intellektuelles Theater machten, sondern richtig derbes Volkstheater. Und da gab es diese Sprache, Gromolo, die also nur über Töne und Klänge geht. „Esse patóre, di ceccha lucita poca ceculova. Música laccha leìto, bése chetecchalo, eío bese covo collo cauaí nànu. Ama, tsìta cálappa.“ Das waren jetzt alles Sätze in Gromolo, und wenn man es gut macht, erzählt man mit Gromolo eine Geschichte, wo der andere merkt: ‚Der erzählt eine Geschichte ohne Worte.‘ Das ist aber wirklich ganz schön schwierig, weil es nicht nur das Bilden dieser Worte, dieser Klänge ist. Und vielleicht, erklärenderweise, hat es damit zu tun, dass wir auf eine Ebene gehen, wo Kinder noch nicht intellektuell Sprache erleben. Sie hören Worte und plappern es nach, imitieren es. Das ist Imitationslernen. Da sagt einer Papa, einer sagt Mama, und plötzlich sagt das Kind zum ersten mal Mama. Und wenn es das sagt, weiß es ja oftmals gar nicht, dass das „Mama“ die Mama bedeutet, die dieses Kind geboren hat. Und auf dieser Ebene findet Gromolo statt, wo wir Sprache noch als Klang erleben. Was ich so toll an der Gromolo-Sprache finde, ist, dass ich mit den Kindern Quatsch reden kann, und für den Erwachsenen ist das eine super Möglichkeit, mal ein bisschen auf eine Kind-Ebene zu gehen, so eine Quatsch-Sprache zu sprechen.

 

Hab’ mal Mut! Zeig’ das ruhig!”

 

Gibt es noch irgendetwas, das du uns zum Schluss mitgeben möchtest?

Ja vielleicht, dass ich jedem Menschen wünsche, dass er Mut hat zum Clownsein. Für mich ist es eine Lebensphilosophie geworden.

Was kannst du Menschen raten, denen genau das schwer fällt, die Angst haben loszulassen, denen es peinlich ist, sich öffentlich zu präsentieren, die sich bei der Vorstellung, sich derart zu öffnen, stattdessen vor Scham verschließen?

Also ich möchte niemals als Clown jemanden beschämen. Beschämen ist kein schönes Gefühl. Aber wenn jemand ein bisschen scheu ist oder denkt, das könnte peinlich sein, wenn ich mich jetzt lustig gebe, dann sage ich immer: „Hab’ mal Mut! Zeig’ das ruhig!” Und gerade da fängt oft der Clown an. Das ist eigentlich der Moment, wo du merkst: Ich kann das ja viel besser, als ich von mir selber glaube. Es hat eben damit zu tun, dass du es schaffst, über deinen Schatten zu springen, und es hat auch damit zu tun, dass du es nicht musst, dass es freiwillig ist. Ich würde niemandem raten, es aus Zwang zu tun, sondern nur, wenn du es wirklich willst. Ich sage immer im Workshop: „Ihr seid freiwillig hier, und das ist die Basis unserer Arbeit.”

Fotos: Luca Jakob

Für alle, die Lust auf mehr Clownerei haben:

7 Fragen an einen Clown

Sebastian Wessel

Auszubildender zum Mediengestalter Bild und Ton.

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